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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

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antifNACHRICHTEN an9807
Nummer 3 / Juli 1998


60. Todestag von Lilo Herrmann:

"...das größte Glück der größten Menge!"

von unserer Redaktion

"Der ersten von den Nazis am 20. Juni 1938 hingerichteten Widerstandskämpferin Lilo Herrmann" steht auf dem schlichten Stein gleich neben dem Kollegiengebebäude II und in nächster Nähe zum Rektoramt der Universität Stuttgart. Zehn Jahre ist es nun her, daß von dort verlautete, man werde "vorläufig nichts unternehmen, um diesen Stein zu entfernen". Unbekannte hatten ihn im Schutz der Nacht gesetzt und damit gewichtige Fakten geschaffen, die die unwürdige Debatte, ob eine Widerstandskämpferin die auch Kommunistin war, an einer schwäbischen Universität geehrt werden darf, entschieden. Verläufig. Vier Semester lang hat die am 23. Juni 1909 in Berlin geborene Lilo Herrmann an der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart Chemie studiert. 1931/32 wechselte sie an die Universität Berlin, wo sie am 11. Juli 1933 mit 111 StudientInnen "wegen kommunistischer Betätigung" - sie hatte versucht, jüdischen Studierenden und Hochschullehrern Hilfe zu leisten und war für demokratische Rechte und Freiheiten eingetreten - vom Universitätsstudium ausgeschlossen wurde.

Nach der Geburt eines Sohnes kehrte Lilo Herrmann 1934 nach Stuttgart zu ihren Eltern zurück. Auch jetzt suchte sie Kontakt zum antifaschistischen Widerstand. Elf Monate lang half sie mit bei der Aufrechterhaltung von Verbindungen zwischen illegalen Organisationen der KPD. Die Aufdeckung geheimer Kriegsvorbereitungen Hitlerdeutschlands bildete einen Schwerpunkte ihrer Widerstandsgruppe. In den Prozeßunterlagen heißt es: "...verwendet die KPD in ihrer internationalen Hetzpresse ganz planmäßig geheime den Stand der Rüstung aufzeigende Nachrichten aus Rüstungsbetrieben und knüpft hieran die Behauptung, die Reichsregierung bereite einen Angriffskrieg vor." Im Dezember 1935 wurde Lilo Herrmann verhaftet. Es folgten 19 qualvolle Monate bis zum Prozeßbeginn. Mit allen Mitteln versuchte die Gestapo Aussagen aus ihr herauszupressen. Doch Lilo Herrmann gab nur preis, was die Nazi-Polizei ohnehin schon wußte. Am 12. Juni 1938 wurden Lilo Herrmann, ihre Gefährten Stefan Lovasz, Josef Steidle und Alfred Göritz vom Volksgerichtshof "wegen Landesverrats, begangen in Tateinheit mit Vorbereitung zum Hochverrat" zum Tod verurteilt. Die Nachricht, daß die Nazis eine Frau und Mutter eines kleinen Kindes zum Tod verurteilt hatte, rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Eine breite internationale Solidaritätsbewegung setzte sich für Lilo Herrmann ein. Im Namen von 830.000 Frauen forderte ein Kongreß in Großbritannien die Aufhebung des Todesurteils. Die französische Gewerkschaft CGT protestierte im Namen von über 1,5 Mio. Mitgliedern. Am frühen Morgen des 20. Juni 1938, drei Tage vor ihrem 29. Geburtstag, starb die Frau, die einen neuen Weltkrieg verhindern wollte, deren Kampf dem Frieden und "dem größten Glück der größten Menge..." (so definiert von Lilo Herrmann in einem Verhör) galt, unter dem Henkerbeil. Der Stadt Stuttgart war die Erinnerung an Lilo Herrmann, die fünf Jahre ihres kurzen Lebens - 19 Monate davon in Haft - in der Landeshauptstadt verbracht hatte, ein Straßenschild wert. Es bezeichnet eine ca. 100 m lange Sackgasse mit Tiefgaragenzufahrt und Privatparktplätzen. Niemand wohnt im Lilo-Herrmann-Weg. Studierende sammelten in den 70er Jahren Unterschriften unter die Forderung, ihr neu errichtetes Wohnheim nach Lilo Herrmann zu benennen. Ein "Initiativkreis Lilo Herrmann", bestehend aus Fachschaften, Asten, VVN-BdA, politischen Gruppen forderte eine Erinnerungsstätte an der Uni. Eine Kommission unter Vorsitz des Leiters des historischen Instituts Prof. Eberhard Jäckel sollte im Auftrag der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät Vorschläge erarbeiten, welche Personen noch mit in die Ehrung einbezogen werden könnten. Ein Vorhaben, das auf Schwierigkeiten stieß, da das Universitätsarchiv 1944 verbrannt ist. Jäckel trat schließlich für eine anonyme Ehrung der "Opfer und Gefallenen 1933 - 1945" ein. Mit oft an Kalte-Kriegs-Rhetorik gemahnenden Ausführungen verweigerte SPD-Mitglied Jäckel einer Ehrung für Lilo Herrmann konsequent die Zustimmung. Die Mehrheit des Senats der Universität schloß sich auch im 50. Jahr der Ermordung Lilo Herrmanns der "gutachterlichen Empfehlung" des prominenten Historikers Jäckel an, während CDU OB Rommel das Anliegen für berechtigt hielt und sogar eine Kostenbeteiligung der Stadt für eine Gedenktafel in Aussicht stellte. DGB und die Gemeinderatsfraktionen von SPD und Grüne kritisierten die Uni-Führung für ihren Beschluß.

Am 20. Juni 1988 gedachten einige hundert Menschen mit einer Demonstration und Kundgebung der vor 50 Jahren ermordeten Widerstandskämpferin Lilo Herrmann. Im Schweigemarsch zogen sie auf's Universitätsgelände. Und da stand er dann einfach, der Gedenkstein, ohne behördliche Erlaubnis, ein Stein des Anstoßes. Das ist er, im doppelten Sinn, bis heute geblieben.


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