VVN-Logo 25.10.1998
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

VVN-BdA Baden-Württemberg
Telebus-Logo

antifNACHRICHTEN an9810
Nummer 4 / Oktober 1998


Kosovo-Konflikt:

Bankrotterklärung deutscher Außenpolitik

von Ole See und Gerald Fangmeyer

Seit Jahren warnen verantwortungsbewußte Kräfte vor der Situation auf dem Balkan: Der Konflikt könne sich ausdehnen auf den Kosovo, auf Mazedonien und letztlich auf Griechenland. Jahre hatten die Regierungen in Europa Zeit, um dem jetzt stattfindenden Szenario rechtzeitig und wirkungsvoll zu begegnen. Und nichts geschah.

Jetzt rufen die Regierungen des Westens wieder nach der NATO. Auch die bisherige Bundesregierung befürwortet ein militärisches Eingreifen im Kosovo; strittig ist, ob mit oder ohne UN-Mandat. Und die Stimmen derer, die zu dieser eklatanten Verletzung der territorialen Grenzen Jugoslawiens Nein sagen, sind weniger geworden. Ein großer Teil der Bundestagsfraktion der Grünen stimmte am 19. Juni 98 für die Verlängerung des Bosnieneinsatzes und würde auch einen Einsatz im Kosovo befürworten. Auch bei den Grünen geht der Streit um die Frage "Einsatz mit UNO-Mandat oder notfalls auch ohne?". Die eigentliche Fragestellung ist jedoch nicht, ob es der NATO gelingt, die Zustimmung Rußlands zu einem Militäreinsatz zu erkaufen. Vielmehr geht es um die alte und immer wieder aktuelle Frage: für oder gegen einen Militäreinsatz außerhalb des Vertragsgebietes der NATO.

Es ist bekannt, daß ein Militäreinsatz auf dem Kosovo gegen den erklärten Willen der Regierung Jugoslawiens erfolgen würde. Ein direkter Konflikt zwischen den NATO-Truppen und der jugoslawischen Armee wäre denkbar. Der jetzt stattfindende Krieg ist vor allem ausgelöst worden durch die Herausbildung von bewaffneten Einheiten der Albaner im Kosovo. Die UCK, die militante albanische Untergrundorganisation, hat mit dem bisherigen Primat der Gewaltlosigkeit der albanischen Opposition gebrochen. Ihr Operationsgebiet beschränkt sich nicht auf den Kosovo. Bereits zweimal wurden auch in Mazedonien Anschläge verübt. Und in der Sprache der UCK ist auch die albanische Minderheit in Nordgriechenland dazu berechtigt, sich das "Selbstbestimmungsrecht" zu erkämpfen. Ein Großalbanien ist das Ziel der Organisation.

Ein gefährliches Ziel; der Konflikt droht, auf andere Staaten überzugreifen. Die Eskalation ist vorprogrammiert. Wenn es keine Friedenslösung für den Balkan insgesamt gibt, wird der Krieg zwischen Serben und Kosovoalbanern eskalieren, und die UCK wird den Krieg auch in die angrenzenden Länder tragen.

Autonomie oder Unabhängigkeit?
Die selbsternannte Regierung des Kosovo und die UCK fordern inzwischen beide die staatliche Unabhänigkeit des Kosovo. Dieser Forderung wird mit Kriegseinsätzen und Anschlägen durch die UCK Nachdruck verliehen. Ungefähr ein Drittel des gesamten ländlichen Gebietes der autonomen Provinz befindet sich unter der militärischen Kontrolle der UCK. Kosovo ist eine autonome Region innerhalb Serbiens, eines der jugoslawischen Bundesstaaten. Mit der neuen serbischen Verfassung wurde die Autonomie dahingehend eingeschränkt, daß der Kosovo keine republikähnlichen Rechte mehr ausüben kann. Weiterhin gelten jedoch folgende Rechte:

  1. Existenz eines Provinzparlaments und einer Provinzregierung
  2. politisches Organisationsrecht für nationale Minderheiten
  3. Gründungsrecht für eigene Kulturinstitutionen
  4. Bildung und Studium in der eigenen Muttersprache
  5. Herausgabe von Zeitungen in albanisch

Damit ist nach wie vor eine kulturelle Autonomie möglich, die jedoch von den Albanern selbst nur noch wenig wahrgenommen wird. Zum Beispiel rief die UCK die albanischen Lehrer an den Schulen zum Boykott des Unterrichts auf, dem diese - wahrscheinlich auch im eigenen Überlebensinteresse - nachkamen. Die UCK ist gegenüber "Abweichlern" nicht zimperlich. Fast hilflos wirkt demgegenüber der Versuch der Kommunalverwaltung in Prstina, nach wie vor die Rechte der Albaner zu respektieren: Theatervorstellungen finden nach wie vor an einem Tag in serbisch und am anderen Tag in albanisch statt.

Wer eskaliert den Konflikt?
Der Konflikt eskaliert, seit die UCK die Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit kurzfristig und einem Großalbanien unter Einschluß von Teilen Mazedoniens und Nordgriechenlands fordert. Die Herausbildung einer militärischen Struktur in der albanischen Opposition im Kosovo beantworteten die Serben mit einem harten Militäreinsatz. Er erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Kämpfer der UCK bereits ungefähr ein Drittel des Kosovo kontrollierten. Dieser Krieg zwischen der UCK und den serbischen "Polizeieinheiten" ist das Ende der friedlichen Bemühungen der albanischen Opposition um die vollständige Wiederherstellung der Autonomierechte.

Den uninformierten Betrachter wundert es, wie die UCK militärisch so stark werden konnte, daß sie sich jetzt einen offenen bewaffneten Konflikt zutraut. Das ist nur denkbar mit Hilfe aus dem Ausland. Aus Albanien, aus der Schweiz und aus Deutschland sollen die Waffen stammen. Und sie sind finanziert mit Abgaben, die die UCK von den Albanern im Kosovo eintreibt und bei Exilalbanern vor allem in der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland gibt es eine Reihe von Vereinen der Kosovo-Albaner, die steuerlich absetzbare Spenden einwerben. Eine Verwendung dieser Mittel für Waffeneinkäufe ist nicht auszuschließen, eher wahrscheinlich.

Der Krieg kann bei gleichbleibendem Szenario noch lange andauern. In den Reihen der NATO-Staaten wird über eine militärische "Lösung" nachgedacht, die letztlich auf ein Protektorat im Kosovo hinausläuft. Damit erhoffen sich die NATO-Staaten sowohl eine schnelle Beendigung der Kampfhandlungen, als auch eine Eindämmung der Gefahr der territorialen Ausdehnung des Krieges.

Wer will wie eingreifen?
So wie auch im Bosnienkonflikt muß man davon ausgehen, daß die einzelnen europäischen Staaten und die USA unterschiedliche Interessen in der Region verfolgen. Letztlich geht es um die Sicherung von Einflußsphären. Immer wenn irgendwo Militär in nennenswertem Umfang stationiert wird, muß davon ausgegangen werden, daß das nur der erste Schritt der Einflußnahme ist. Wer den stärksten militärischen Einfluß in der Region ausübt entscheidet auch über die Bedingungen für ökonomischen und politischen Einfluß. Es ist also für die genannten Mächte wichtig, schnell die eigenen Finger in den Prozeß zu bekommen. Aufgrund der geographischen Nähe und des Einflusses in den übrigen Balkanstaaten (abgesehen von Jugoslawien) hat die deutsche Außenpolitik beste Voraussetzungen. Kinkel setzt daher vor allem darauf, den Konflikt in der Region nicht vollständig eskalieren zu lassen und ein militärisches Eingreifen der USA oder anderer europäischer Staaten zu vermeiden. Stattdessen läßt Deutschland zu, daß die UCK aufgerüstet wird aus Deutschland und aus der Schweiz. Für eine direkte Unterstützung der UCK gibt es noch keine Belege. Jedoch ist offenkundig, daß der deutsche Kontakt zur selbsternannten Regierung des Kosovo und auch zur UCK gut ist.

Die USA können einen entscheidenden Einfluß nur geltend machen, wenn ihnen ein Militäreinsatz in der Region unter ihrer Führung gelingt. Da ein UNO-Mandat für einen solchen Einsatz erst in einer gewissen Zeit zu realisieren ist, drängen sie auf einen NATO-Einsatz notfalls auch ohne UNO-Absegnung. Diese Zeit nutzt die deutsche Außenpolitik, um auf diplomatischem Wege neues Terrain zu gewinnen. Der deutsche Militärminister Rühe will unterdessen "seine" Bundeswehr in den nächsten Etappenschritt führen: Den Einsatz ohne Mandat der Vereinten Nationen. Er sprach sich daher taktisch für den schnellen NATO-Einsatz aus. Wahrscheinlich wohl wissend um die Tatsache, daß dieser so schnell doch nicht zustande kommt.

Deutsche Außenpolitik
Das Ziel der deutschen Außenpolitik ist es, in Belgrad eine andere Regierung zu etablieren, um den deutschen Einfluß auf dem Balkan auszudehnen. Sämtliche Konflikte auf dem Balkan werden von der Bundesregierung unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und bewertet. Das Interesse Deutschlands an der Region selbst ist wahrscheinlich eher gering. Es dürfte um zwei Punkte gehen:


f der Welt eingreifen, wenn sich nur ein kriegerischer Konflikt ergibt. Wir befinden uns in der Etappe, wo die NATO als Weltpolizist propagiert und international durchgesetzt wird. Schon klassisch für diese Etappe ist, daß das größte Hindernis auf dem Weg zur Erreichung des Etappenziels die Uneinigkeit der NATO-Staaten ist.

Forderungen der Friedensbewegung
Die Friedensbewegung hat keinen Grund, sich mit dem Kosovo-Krieg schwer zu tun. Sie warnt seit Jahren vor einer Eskalation des Konflikts im Kosovo. Die Außenpolitik Deutschlands und der anderen westlichen Staaten hat diese Eskalation nicht aufgehalten. Dazu wäre auch mehr als nur ein müdes Lächeln nötig gewesen. Letztlich werden die Konflikte auf dem Balkan erst ein Ende finden können, wenn der Region durch die Integration in Europa eine Lebensperspektive gesichert wird. Da aber die EU-Strategen die Reichtumsgrenzen quer über den Balkan zu ziehen gedenken, wird es für die Dauer dieser Außenpolitik zu Verteilungskonflikten kommen.

Die NATO-Staaten führen das Ziel der Konflikteindämmung und der humanitären Hilfe im Munde, um ein militärisches Eingreifen zu begründen. Gemessen daran ist der derzeitige Zustand des Balkan eine Bankrotterklärung der Außenpolitik des Westens, insbesondere der Bundesrepublik. Ist sie es doch, die mit der völlig verfehlten Anerkennungspolitik im Falle Kroatiens den Krieg auf dem Balkan richtig entfacht hat. Es folgten Bosnien und der Kosovo, wie es die Friedensbewegung vorhergesagt hat. Und auch die sogenannte "Befriedung" Bosniens mit militärischer Gewalt zeigt ihre höchst zweifelhaften Früchte. Fühlt sich doch die UCK letztlich auch durch den Verlauf des Bosnienkrieges ermuntert, in ihrem Bemühen um militärische Durchsetzung der Eigenstaatlichkeit fortzufahren. Frieden ist eben doch nicht durch NATO-Militäreinsätze zu erlangen oder durch Militär zu erhalten.

Was kann man jetzt tun, angesichts der massiven Fehler der westlichen Politik auf dem Balkan? Neben dem schon seit Jahren geltenden Waffenembargo gegenüber Jugoslawien müssen die Waffenlieferungen an die albanische Seite eingestellt werden. Dabei kommt der Regierung Albaniens eine Schlüsselrolle zu: Die Bundesregierung sollte sie zu diesem Schritt auffordern. Der Westen muß Druck ausüben auf die UCK und den Vertreter der albanischen Bevölkerung im Kosovo, Rugova. Die Anschläge und Angriffe müssen auf beiden Seiten eingestellt werden. Die Albaner müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren; sie müssen erkennen, daß die Durchsetzung ihrer Forderungen mit Waffengewalt nicht akzeptiert werden kann. Das Ziel kann nur sein, die Autonomierechte vollständig wieder in Kraft zu setzen und damit eine friedliche Entwicklung wieder in Gang zu setzen. Dabei spielt nicht zuletzt die Frage der Entwaffnung der UCK-Einheiten eine wesentliche Rolle.

Den Beitrag haben wir den Friedensblättern für die Friedensbewegung in Baden-Württemberg (Nr. 40, August 1998) entnommen. Beide Autoren sind Mitglieder im Arbeitsausschuß des Friedensnetzes in Baden-Württemberg.

Ole See / Gerald Fangmeyer



antifaNACHRICHTEN werden herausgegeben von der VVN/BdA Baden-Württemberg.
V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

VVN-LOGO VVN-BdA Baden-Württemberg
http://www.vvn.telebus.de
Böblinger Strasse 195
D-70199 Stuttgart

Tel. 0711 / 60 32 37 Fax 0711 / 60 07 18
e-mail: vvnbda.bawue@planet-interkom.de

© 1998 J. Kaiser