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Nummer 4 / Oktober 1998


Entschädigung für Zwangsarbeiter längst fällig

Macht ohne Moral - wie lange noch?

von Alfred Hausser

Jahrelang wurde dieses dunkle Kapitel der NS-Zeit in den Medien verschwiegen und ist damit auch in der öffentlichen Diskussion untergegangen. Als aber Anfang Juli 1998 die sensationelle Nachricht verbreitet wurde, daß der VW-Konzern nach Androhung einer Klage seine noch etwa 300 lebenden (von ehemals 20 000) Zwangsarbeiter entschädigen will, finden wir täglich in der Presse Meldungen die sich mit diesem Thema beschäftigen.

Gleichzeitig erfahren wir aus den USA, daß nicht nur Schweizer Banken unter Druck stehen, weil sie sich an jüdischem Vermögen bereichert haben und nun Entschädigung zahlen wollen. Auch deutsche Geldinstitute und Versicherungskonzerne geraten in diesen Sog: Deutsche Bank, Degussa, Allianz und andere Institute müssen gestehen, daß sie sich mit gestohlenem jüdischen Vermögen bereichert haben und erklären sich zu einer Entschädigung bereit. Man merke: 50 Jahre nach diesem Raub geben sich die Nutzniesser und ihre Nachfolger unwissend und unschuldig. Und nur Wenige sind über diese Moral empört! Die Millionen Zwangsarbeiter, meist in den osteuropäischen Ländern Zuhause, sind fast vergessen. Ihre Entschädigung wurde im Londoner Schuldenabkommen der vier Alliierten im April 1953 bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland auf Eis gelegt.

Am 16. Januar 1986 faßte das Europa-Parlament einstimmig eine Entschließung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern.

In den leitenden Organen der VVN-BdA war man sich darüber klar, daß wir unter Berufung auf diese Aussagen handeln müssen, denn oft genug mußten wir erkennen, daß die Aufarbeitung der NS-Zeit trotz eindeutiger Rechtsgrundlagen im Postdamer Abkommen und im Grundgesetz von den staatlichen Organen sabotiert wurde. Ohne Druck der demokratischen Kräfte hat sich in diesem Lande nichts im fortschrittlichen Sinne bewegt!

Wir sahen in dieser Entschließung einen Auftrag und haben deshalb am 26. Mai 1986 in Frankfurt die "Interessengemeinschaft der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen unter dem NS-Regime" gegründet. In mehreren Dokumentationen wurde das Los der Arbeitssklaven geschildert und die Entschädigung gefordert. Unter Berufung auf das Europa-Parlament wurden namhafte Nutznießer der Zwangsarbeit an ihre moralische und materielle Verpflichtung erinnert. So geschehen in Briefen an Bosch, Daimler-Benz, VW und den Bundesverband der deutschen Industrie. Wir bekamen auch prompt Antwort in auffallend gleichem Tenor: Wir (die Konzerne) hatten während des Krieges staatliche Aufgaben zu erfüllen, die Zwangsarbeiter wurden uns vom Staat zugeteilt, folglich haftet auch der Staat. Kein Wort, daß die Betriebe riesige Extraprofite durch die Zwangsarbeiter/innen gescheffelt haben. Kein Wort des Bedauerns über die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Sklaven. Diese Absagen bezeugen eine Kälte jenseits aller Moral und christlichen Ethik. Unsere Korrespondenz mit den Zwangsarbeitern vor allem aus den Osteuropäischen Ländern umfaßt viele Leitzordner und sind eine Anklage an ihre Sklavenhalter. Hier ein Beispiel neueren Datums:

Als der VW-Konzern im Juli seine Bereitschaft zur Zahlung einer Entschädigung gegeben und inzwischen eine Summe von 20 Millionen DM genannt hat, ist die Front der Nein-Sager ins Wanken geraten. Bundeskanzler Kohl hat sich in der 12-jährigen Diskussion aus diesem Anlaß zum 1. Mal mit der zynischen Erklärung geäußert: "Der Wiedergutmachungstopf der Bundesrepublik wird nicht mehr geöffnet."

Die Konzerne, die jetzt aus den USA von Klagen bedroht sind, müssen sich überlegen, ob sie wie VW ihre Schuld begleichen wollen oder durch Gerichtsurteil dazu gezwungen werden.

Die Entscheidung von VW ist ein Lichtblick. Wir begrüssen dieses Umdenken, aber die Lösung von Betrieb zu Betrieb ist nicht befriedigend. Viele Betriebe existieren heute nicht mehr. Wo bleibt die Deutsche Reichsbahn, die an vielen Orten KZ-Häftlinge beschäftigt hat? An wen sollen sich die Zwangsarbeiter/innen wenden, die in der Landwirtschaft eingesetzt wurden? Eine zufriedenstellende Lösung kann nur durch eine Bundesstiftung, in die private Arbeitgeber und der Staat Geld einbringen, erreicht werden. Diese Regelung wurde in zwei Legislaturperioden von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag per Gesetzentwurf beantragt und beidesmal von der CDU/CSU/FDP-Mehrheit durch eine Verschleppungsstaktik verhindert.

Die Organisationen der Verfolgten müssen zusammen mit den Gewerkschaften im neuen Bundestag dafür sorgen, daß die Sklavenarbeiter aus der NS-Zeit entschädigt werden. Der Wettlauf mit dem Tod muß endlich zugunsten der noch wenigen lebende Opfer beendet werden.

Letzte Meldung
Rundfunk und Stuttgarter Zeitung berichteten am Dienstag, 22. September, daß Bosch und Daimler-Benz ihre Haltung zur Entschädigung ihrer Zwangsarbeiter überdenken. Daimler-Benz hat bereits einen populären Vermittler benannt: den für seinen Film "Schindlers Liste" jüngst mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten US-Regisseur Steven Spielberg. Bosch hält sich noch bedeckt, will aber seine Positionen überdenken und denkt an einen gemeinsamen Hilfsfond der deutschen Industrie. Wir als Interessengemeinschaft könnten uns mit dieser Lösung abfinden - allerdings muß sich auch der Staat daran beteiligen.

Alfred Hausser



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