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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

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Nummer 4 / Oktober 1998


Innere Sicherheit als Wahlkampfschlager:

Mit Sicherheit soziale Ausgrenzung

von Jürgen Korell und Urban Liebel

Im gleichen Maße wie deutsche Städte in Kriminalität, Schmutz und Unrat verkommen sollen, verroht die deutsche Sprache im Ruf nach mehr Obrigkeit. Der Berliner CDU-Politiker Klaus-Rüdiger Landowsky sorgte mit einem Satz für bundesweite Schlagzeilen: "Es ist nun einmal so, daß dort, wo Müll ist, Ratten sind und daß dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden".

Landowsky findet nicht nur bei seinem Parteifreund, dem Innensenator und ehemaligen General Schönbohm, der statt in der Bundeswehr in Berlin aufräumen will, Anerkennung sondern wurde von der rechtsextremen Wochenzeitschrift "Junge Freiheit" als "ausgeschlafener Politfuchs" gelobt, und in einem Beitrag des Sender Freies Berlin mit den Worten: "Dafür verdient der Mann ein Lob", beklatscht.

Sprachliche Aberkennung der Bürgerrechte
Der ehemalige Kasseler CDU-Bürgermeister Dr. Jürgen Gehb steht dem Rechtsausleger Landowsky in nichts nach: "Wir ziehen das Gesocks hier an, in jeder Beziehung, zu uns kommen alle, auch Penner und andere Leute, die in der Peripherie weggejagt werden, die werden bei uns schön gehätschelt und getätschelt". Sprachlich werden mir nichts, dir nichts die Bürgerrechte aberkannt, wenn zwischen dem Gesindel, den Verbrechern und den Bürgern eine klare Trennlinie gezogen wird. Im gleichen meinungsbildenden Fahrwasser befinden sich im Juli 1997 die Wochenmagazine "Stern", "Der Spiegel" und "Focus". Mit Farbbildern werden die Bedrohungsszenarien gestrickt, so daß die Schröder-Parole, "Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell!", sich in den Textzeilen visualisiert fortsetzen kann. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble ist geradezu begeistert, daß in der Gesellschaft ein so großer Umdenkungsprozeß stattgefunden hat und liberale Magazine wie "Der Spiegel" und "Stern" auf Positionen der Härte eingeschwenkt sind. Der brandenburger Kriminologe Bernd Wagner vertrat dagegen die Auffassung: "Solche Sachen werden geradezu als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Umwertung der Politik goutiert." Der Verfassungsrichter Winfried Hassemer warnte bereits 1995 davor, daß mangelnde Orientierung durch markige Entschlossenheit ersetzt werde.

Mehr Angst als Freiheitsliebe
Sicherheit statt Freiheit heißt die Losung und suggeriert realitätsfremd, daß beides zusammen keine Zukunft haben kann. Verbrechensfurcht hängt mit allgemeinen Lebensängsten eng zusammen und um die Ängste zu verlieren, lassen sich die BürgerInnen gerne die Freiheitsrechte beschneiden. Seit den 70er Jahren hat sich die Kriminalitätsbelastung nahezu verdoppelt. 1971 bejahten 24 Prozent der BundesbürgerInnen die Frage, ob sie in den letzten drei Jahren bestohlen worden seien. 1990 bekundeten beinahe unverändert 25 Prozent eine derartige Erfahrung. Bei weitgehend gleichen Opferzahlen war in den Jahren 1991 bis 1993 die Kriminalitätsfurcht in den neuen Bundesländern teilweise doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Damit zeigt sich, daß die Kriminalitätsbelastung und Kriminalitätsfurcht nicht zwangsläufig mit viktimologischen Erfahrungen zusammenhängen müssen. Vielmehr scheint die Kriminalitätsrate mit dem Anzeigenverhalten und einem gestiegenen Registrierverhalten der Polizei zu korrelieren und die Kriminalitätsfurcht mit der Medienberichterstattung und der öffentlichen Meinung zusammenzuhängen.

Freiheit macht Angst, und der Sozialabbau macht die dunklen Seiten des Kapitalismus sichtbar. So wird alles in einen Topf geworfen. Betrunkene, die an die Hauswände pinkeln, Dealer, die ihren Geschäften nachgehen, herumlungernde Obdachlose und Passanten, die ausgeraubt oder angepöbelt werden. Die Feinbilder werden in den Köpfen verankert. Die Meinungsbildung verkommt zur Schlagzeile und die Randständigen sind die Leidtragenden.

Uniformiertes Bollwerk gegen Rechtstaatlichkeit
Die Lösung haben Law-and-Order-PolitikerInnen von links bis rechts auch schon parat. Wir brauchen mehr Polizeipräsenz. Die Sicherheit muß uniformiert auf den Straßen und öffentlichen Plätzen sichtbar werden. Streife laufen, statt Akten bearbeiten. Ein uniformiertes Bollwerk gegen demokratische Rechtsstaatlichkeit, für sichere und saubere Städte. Dafür wird mehr Kompetenz gefordert und in Form von Gesetzen und Verordnungen geschaffen.

Ein von den Grünen 1990 veröffentlichtes Gutachten, an dessen Gültigkeit sich bislang nichts änderte, widerlegt die Auffassung, durch mehr Polizeipräsenz könnte Kriminalität verhindert werden. Dort heißt es nämlich: "Illusionär war aber bereits die Grundannahme dieses Konzepts. Es baute darauf, daß allein die Präsenz von mehr Polizisten im Außen- und Streifendienst dazu führen könnte, daß zum einen mehr Straftäter auf frischer Tat entdeckt und gefaßt, zum anderen aber potentielle Täter hierdurch abgeschreckt würden." Fußstreifen sind demnach weitgehend uneffektiv. Ebenso uneffektiv und zusätzlich umweltschädigend sind Streifenfahrten. Nur etwa ein Prozent der Funkstreifeneinsätze dürften in Großstädten mit einer Festnahme verbunden sein. Durch dichte Polizeipräsenz werden bestimmte Deliktformen nur in andere Bereiche verdrängt. Die abschreckende Wirkung durch eine höhere Polizeipräsenz ist geringer als das Mißtrauen, das dadurch entsteht.

Anonym schlendernde Uniformierte werden das subjektive Sicherheitsgefühl sicher nicht steigern, da dadurch die polizeiliche Erreichbarkeit nicht automatisch gewährleistet ist. Statt Polizeidienststellen weiterhin zu zentralisieren, wodurch der Kontakt zu den BürgerInnen verloren geht und auch durch Kontaktsbereichsbeamte, Fußstreifen und Präventionsräte nicht aufgeholt werden kann, sollten leicht erreichbare Stadtteildienststellen geschaffen werden. Die BürgerInnen brauchen nicht ständig Uniformierte um sich herum. Sie brauchen polizeiliche Hilfe, wenn sie danach rufen. Und sie müssen die Gewißheit haben, daß die notwendige Hilfe gewährleistet wird. Alles andere ist Augenwischerei.

Worte wiegen mehr als Zahlen
Das subjektive Sicherheitsgefühl hinkt objektiven Zahlen hinterher, bemängeln die OrdnungspolitikerInnen und vergessen dabei, daß sie es sind, die die subjetive Unsicherheit schüren. In diesem bewußt herbeigeführten Klima der Angst entstehen bei den Menschen Vorurteile, die den Ruf nach schärferen Gesetzen und mehr Polizei laut werden läßt, was diejenigen PolitikerInnen freut, die eine andere Republik wollen. Mit Ängsten wird Politik gemacht.

Worte wiegen nun mal mehr als Zahlen und so verwundert es kaum, daß die von Wolfgang Schäuble auf dem CDU-Parteitag im September 1993 eingeleitete Wertediskussion mit den altdeutschen Begriffen Dienen, Ordnung, Fleiß und Sauberkeit auf offene Ohren stieß. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber bekräftigte am 5. September 1997 auf der 715. Sitzung des Bundesrates die Neubesinnung auf die Funktion von Recht und Ordnung, als er resümierte, daß im Laufe der Jahre die bürgerlichen Tugenden zu Sekundärtugenden abgewertet und der Resozialisierungsgedanke überbewertet wurden. In solchem Klima bietet es sich an, die Kriminalität einzubeziehen. Mit Kriminalität läßt sich wunderbar von anderen politischen Problemen ablenken, bedarf doch Kriminalität keiner weiteren Erläuterungen und Beweise. Über Kriminalität weiß jeder Bescheid - aus den Nachrichten, aus eigenen Erfahrungen, aus eigenen Beobachtungen, aus den Krimis und Aktenzeichen XY ungelöst. Ob Todesstrafe, langjährige Haftstrafen oder einfach mal richtig durchgreifen, die Stammtischlösungen finden breiten Anklang. Die unsinnigsten Forderungen nehmen breiten Raum ein. Sie reichen vom Ausgehverbot für Jugendliche über Fahrverbote für kleinere Straftaten bis hin zur Bestrafung der Eltern straffällig gewordener Kinder und Jugendlicher. Unterschriftenlisten für die Todesstrafe von Sexualtätern können kaum so schnell kopiert werden, wie sie ausgefüllt sind.

Wem gehört die Stadt?
Gefahrenabwehrverordnung heißt das Stichwort für die saubere Stadt. Das Konzept der öffentlichen Ordnung ruht auf drei Säulen: Polizei, Ordnungsamt, private Sicherheitsdienste. Private Sicherheitsdienste sorgen in Schwarz in Einkaufspassagen und Kaufhauseingängen für Zucht und Ordnung, in Weiß halten sie die Schwimmbadordnung aufrecht und in Blau sollen sie in den Bahnhöfen das Sicherheitsgefühl heben. Das Ordnungsamt läuft während dessen mit Hunden sowie Waffen Streife und achtet nebenbei auf Hundesteuersünder und das illegale Absetzen von Hundekot, während die Polizei dazwischen ihre Quasi-KollegInnen unterstützt und mit operativen Einheiten potentiellen TäterInnen auf der Spur ist. Wem gehört die Stadt, mag sich manch einer fragen. Den Geschäftsleuten und kaufkräftigen KundInnen muß die Antwort lauten. In erster Linie wurden wegen der jahrelangen Proteste von Innenstadtgeschäftsleuten und dem zur Zeit günstigen öffentlichen Klima die Gefahrenabwehrverordnungen vieler Städte geändert. Während in früheren Zeiten die Polizei bei Beschwerden die Obdachlosen ohne Rechtsgrundlage an die Peripherie fuhren, ermöglichen es heute schwammige Formulierungen den Ordnungskräften weitgehend aus eigener Definitionsmacht heraus, über den Verbringungsgewahrsam zu entscheiden. Das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit ist demnach verboten, wenn durch anpöbeln, johlen oder lautes Singen, Liegenlassen von Flaschen oder Erbrechen die Allgemeinheit oder einzelne Personen gefährdet werden können. Danach könnte jedes Volksfest auf die Verbotsliste kommen. 1995 und 1996 registrierte die Münchner Polizei beim Oktoberfest drei Todesfälle, 905 Körperverletzungen, 490 Diebstähle und 22 Raubtaten. Doch solches Verhalten stört das Kaufvergnügen der Gutbetuchten nicht.

Platzverweise nach den neuen Polizeigesetzen bieten die Möglichkeit, die Kaufkraft zu erhöhen, indem Straßenzüge und öffentliche Plätze von den menschlichen Gefahren öffentlicher Sicherheit und Ordnung befreit werden. Reicht den geschäftstüchtigen Anliegern das öffentliche Aufräumen immer noch nicht, versuchen sie öffentliche Plätze und Straßen anzupachten, um über das Hausrecht private Sicherheitsdienste einsetzen zu können. Das wiederum kann ganz im Sinne der öffentlichen Hand sein. Der Polizei wird so die Drecksarbeit genommen, öffentliche Kosten werden gespart und die abgegrenzte Öffentlichkeit wird zur Sauberkeit verdammt. Der öffentliche Bereich verkommt zu Disneyland, der während der Geschäftszeiten zum Konsum lockt, und nach dem Ladenschluß zur sterilen Traumwelt abgeschlossen wird.

Der Spiegel berichtete in seiner diesjährigen 28. Ausgabe, daß 20 Berliner Polizeiführer "auf den schlimmen Strecken" der U-Bahn in Zivil Streife fuhren. "Es ist einfach nichts passiert. Es hat nicht einmal jemand auf den Boden gespuckt". Vielleicht war das Wetter nicht danach, habe ein Polizeiführer sinniert. Vielleicht waren aber an diesem Tag einfach zu viele bedrohlich aussehende Zivilpolizisten unterwegs, überlegte der Spiegel-Autor. Vielleicht ist aber auch alles nicht so schlimm, zeigt die Realität.

Jürgen Korell und Urban Liebel sind Polizeibeamte und arbeiten in der Arbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen e.V. mit.



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