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Nummer 1 / Januar 1999


Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg:

Renten für die Täter statt Gerechtigkeit für die Opfer?

von Peter Gingold, Ulrich Sander, Reinhard Hildebrandt

Vor 40 Jahren entstand in Ludwigsburg die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Sammlung und systematischen Aufarbeitung aller Dokumente über NS- und Kriegsverbrechen. Die VVN hatte die Arbeit der Ludwigsburger Zentralstelle von Anfang an unterstützt, indem sie Zeugen und Dokumente für diese Recherche zur Verfügung stellte. Die Zentrale Stelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen ist heute für die internationale Geschichtsforschung unverzichtbar. Bei einem Symposium im Ludwigsburger Staatsarchiv haben dies junge Historiker und namhafte Wissenschaftler demonstrativ bekräftigt. Gefordert wurde die Umwandlung in eine Dokumentations- und Forschungsstätte. Gleichzeitig soll aber auch die Fahndungsarbeit nach noch lebenden NS-Verbrechern fortgesetzt werden. Bei den Feierlichkeiten im Ludwigsburger Schloss mit Gästen aus Israel, Polen und den Niederlanden wurde betont, dass die Zentralstelle das Ansehen Deutschlands in der Welt verbessert habe. Politische Forderungen blieben ausgespart. Die VVN-BdA wandte sich deshalb mit einem Offenen Brief an die Teilnehmer des Symposiums im Staatsarchiv und an die Medien. Er ist im folgenden dokumentiert.

Für die personelle, finanzielle und technische Aufrüstung der Zentralen Stelle Ludwigsburg!
Keine Zahlung von Kriegsopferrenten an Kriegsverbrecher!

Unter der Überschrift "Für die Suche nach NS-Verbrechern fehlen EDV und ein Historiker" berichtete die "Frankfurter Rundschau" vom 8.7.98: "Der Entzug von Kriegsopferrenten, die bislang auch an Kriegsverbrecher gezahlt wurden, droht daran zu scheitern, dass die Ermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung der NS-Verbrechen überfordert sind." Auch im Deutschlandfunk und in der Zeitung "Neues Deutschland" hat sich der Leiter der Ludwigburger Zentralstelle mit einem Hilferuf zu Wort gemeldet: Er habe nur rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, incl. Reinigungskräfte und so gut wie keine Technik. Er könne das Notwendige und von ihm Geforderte nicht leisten.
Die VVN-Bund der Antifaschisten, die größte und traditionsreiche Organisation des Widerstands und der NS-Verfolgten sowie ihrer Hinterbliebenen, hat sich deshalb an die zuständigen Ministerien in Bund und Ländern gewandt und erklärt, sie sei "äußerst beunruhigt über diese Entwicklung. Die Zentralstelle, die von den Landesjustizministerien geschaffen wurde, ist nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen. Gleichzeitig vermerken wir:

Kein Mangel bei der Gauck-Behörde
Auf 3400 Planstellen und einen Etat von hunderten Millionen Mark ist die Gauck-Behörde für die Stasi-Hinterlassenschaften angewachsen. Hier besteht kein Mangel an Geld, Technik und Personal. Diese und ähnliche Behörden sind nur zu oft auch gegen Opfer des NS NS-Regimes tätig geworden, haben mittels Vorlage von Geheimdienstberichten dafür gesorgt, dass ihnen die Renten genommen oder verringert wurden. Dies ist zum Beispiel im Falle der schwerbehinderten Witwe von Hermann Axen, einem Überlebenden des Holocaust geschehen, der Mitglied des SED-Politbüros war, wofür seine Witwe nun büßen soll. Sicherlich geben sich die Ermittler in der so kärglich ausgerüsteten Zentralstelle in Ludwigsburg viel Mühe, NS-Verbrechen aufzuklären. Aber der Zustand in der Zentralstelle weist erneut darauf hin, dass die Regierenden in der Bundesrepublik nie an der Aufklärung dieser Verbrechen wirklich interessiert waren. Angesichts dessen braucht man sich nicht zu wundern, dass nach mehr als einem halben Jahrhundert die Naziverbrecher bzw. ihre Angehörigen Kriegsopferrenten erhalten, während, wie Matthias Arning in der "Frankfurter Rundschau" berichtet, ihre Opfer "in den Ländern des ehemaligen Ostblocks nach wie vor leer ausgehen".

Bleibende Ehrung für Kriegsverbrecher
Wenn man bestimmen will, welche Kriegsverbrecher nicht mehr rentenwürdig sind, so sollte man mit den Trägern des NS- Bandenkampfabzeichens beginnen. Diese Auszeichnung für Massenmörder wurde mittels eines Kommentars aus dem Bundesinnenministerium noch im vergangenen Jahr erneut amtlich zugelassen — es muss allenfalls das Hakenkreuz entfernt sein. Zur Geschichte dieser Auszeichnung: Die Generale der Wehrmacht, die den Aufbau der Bundeswehr planten und vollzogen, machten zur Vorbedingung ihrer Remilitarisierungsaktivitäten das Ende der Bestrafung der an Kriegsverbrechen schuldig gewordenen SS-Kader und vor allem der Wehrmachtsangehörigen. Diese Vorbedingung wurde durch die westlichen Alliierten und die damalige Bundesregierung erfüllt. Viele der Wehrmachtsangehörigen, die davon profitierten, kamen dann ab 1955 wieder bei der Bundeswehr unter. Und so mancher von ihnen war Träger des Ordens für "Bandenbekämpfung".
Die Soldaten wie auch die SS-Männer, die - außerhalb der Kampfhandlungen — am Massenmord an Juden, Slawen, Partisanen und Kommunisten (Komissaren), das hieß an der "Bandenbekämpfung" gegen das "jüdisch-bolschewistische Untermenschentum" teilnahmen, erhielten das Bandenkampfabzeichen in Bronze, Silber oder Gold verliehen. Das Bandenkampfabazeichen in Bronze gab es für 20 "Einsatztage", das in Silber für 50 und das in Gold für 100, und zwar laut Führerbefehl und Erlass des Reichsführers-SS. Die bildliche Darstellung der Orden zeigte eine Schlangengrube mit Schlangen, in die ein Schwert — mit Hakenkreuz am Knauf und Totenkopf an der Spitze — von oben hineinstößt. Das Bandenkampfabzeichen zeigte damit nicht nur NS-Symbole — die heute nicht mehr gezeigt werden dürfen - , sondern auch NS-Inhalte, denn es widerspiegelt die Entmenschlichung des "militärischen Gegners", - darunter auch unbewaffnete Zivilisten, auch kleine Kinder - durch deren Darstellung als Schlangenbrut.

Neustiftung des Bandenkampfabzeichens
Wir lesen dazu im Bundesanzeiger vom 28. Februar 1958, speziell in der Anlage zur Bekanntmachung des Bundesinnenministers vom 1. Februar 1958, das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen betreffend, dass die Orden des Krieges der Nazis zugelassen sind, vorausgesetzt, sie zeigen keine Hakenkreuze und SS-Symbole (Totenkopf). Und so finden wir im Abschnitt "Kampfabzeichen / Wehrmacht" die Abbildung des "Bandenkampfabzeichens in Bronze, Silber und Gold", die 1957/58 neu gestiftet wurden, um die "Tapferkeit" des Einzelnen zu würdigen. Die Zulassung des "Bandenkampfabzeichens" wurde 1997 in einem erneuerten Kommentar aus dem Bundesinnenministerium bekräftigt.
Der Orden für die Teilnahme am Holocaust darf in diesem Lande getragen werden, wie auch die Teilnahme am Völkermord weitestgehend straffrei blieb. Zum Beleg für die Mörderqualitäten der Bandenbekämpfer sei auf Adolf Heusinger, in den fünfziger Jahren erster Generalinspekteur der Bundeswehr, verwiesen. Er hat dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal 1945 eine eidestattliche Erklärung abgegeben, mit der die Teilnahme der Wehrmacht am Holocaust bestätigt wurde. Aus ihr zitierte der amerikanische Ankläger Telford Taylor: "Es war schon immer meine (Heusingers) persönliche Ansicht, dass die Behandlung der Zivilbevölkerung im Operationsgebiet und die Methoden der Bandenbekämpfung im Operationsgebiet der obersten politischen und militärischen Führung eine willkommene Gelegenheit bot, ihre Ziele durchzuführen, nämlich die systematische Reduzierung des Slawen- und Judentums."

Keine Sühne für Wehrmachtsverbrechen
In dem Buch "Vernichtungskrieg — Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" (Hamburg 1995) stellt Alfred Streim, der inzwischen verstorbene Leiter der der Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen für die Aufklärung von NS-Verbrechen, fest, "dass die westlichen Alliierten auf die Deutschen keinen Druck zur Verfolgung der völkerrechtswidrigen Handlungen ausübten und im übrigen die von ihnen verurteilten Kriegs- und NS-Verbrecher Anfang der fünfziger Jahre begnadigten." Denn: "Infolge der damaligen angespannten politischen Weltlage hatten sie ein großes Interesse an der Wiederaufstellung deutscher Streitkräfte. Die Verfolgung von Angehörigen der früheren Wehrmacht stand der Wiede rbewaffnung jedoch entgegen, zumal der damalige Bundeskanzler den westlichen Alliierten immer wieder erklärte, es werde keine neue deutsche Armee geben, solange noch Prozesse gegen Angehörige der Wehrmacht geführt und deutsche Soldaten sich in alliierter Haft befinden würden."
Streim berichtete weiter, dass dann auch die Justiz der Bundesrepublik Deutschland die Verbrecher aus der Wehrmacht unbestraft ließ. Die Ludwigburger Zentralstelle habe solche Verbrecher überführt, falls es aber zu Prozessen kam, erfolgte Freispruch. Und zwar sogar in Fällen wie diesem: Wehrmachtsangehörige beteiligten sich 1941 in Simferopol auf der Krim an Massenerschießungen von 10 000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern. "Nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft wurde die Tötung der Juden aus 'niedrigen Beweggründen' und 'grausam' im Sinne des § 211 StGB (Mord) durchgeführt. Sie führte aus: '... die Opfer (wurden) unter Stockschlägen und Peitschenhieben herangetrieben. Sie wurden mit dem Gesicht zum Graben aufgestellt und von hinten erschossen. Dabei konnten jeweils die nachfolgenden Opfer die blutigen Leichen der vor ihnen Erschossenen sehen. Kinder wurden von ihren Müttern weggenommen, vor deren Augen mit Genickschuss getötet und in die Gräben geworfen."

Bessere Ausstattung dringend erforderlich
Namens der VVN-BdA haben wir den Innen- und Bundesministern geschrieben: "Wir ersuchen Sie dringend, aus dem Bereich der Landes- und Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Mittel, Technik und Personal abzuziehen, um die Ludwigsburger Zentralstelle personell, finanziell und technisch aufzurüsten, damit sie schnellstens die Rentenzahlung an Kriegsverbrecher beenden helfen kann. Wir fordern Sie ferner auf, nicht nur in den Akten der Ludwigsburger Zentralstelle nach den Kriegsverbrechern zu suchen, die entgegen den am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Gestz noch immer ihre Kriegsopferrenten beziehen, sondern auch in den Dienststellen in Arolsen sowie in Freiburg und Potsdam (Militärgeschichtliches Forschungsamt) sowie allen Archiven, in denen die Ordensverleihungen an Wehrmachtsangehörige dokumentiert sind."
Bisher liegen nur Eingangsbestätigungen zu unserem Schreiben aus den Ministerien vor. Am 2. Dezember begeht die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen ihr 40-jähriges Bestehen. In einer dpa-Meldung vom 29. November wird sie als "weltweit größte NS-Fahndungsstelle" — mit zwei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ! - gefeiert. Bevor sich auch die Justizminister mit solcher Lobhudelei auf die Schulter klopfen, appellieren wir an sie, unseren Brief inhaltlich zu beantworten und die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Denn noch immer erhalten die Kriegsverbrecher ihre Kriegsopferrente — und noch immer, trotz lebhafter, aber bisher folgenloser Diskussion — werden die "vergessenen" NS-Opfer, vor allem die ehemaligen Sklavenarbeiter des "Dritten Reiches", weitgehend ohne Wiedergutmachungsleistungen gelassen. Wir appellieren auch an Arbeitsminister Walter Riester, in dessen Ressort die Gewährung von Renten für NS-Verbrecher fällt, endlich zu handeln.

Peter Gingold und Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, Reinhard Hildebrandt, Landessprecher der VVN-BdA Baden-Württemberg

Beispiel Schweiz:

Renten für die Waffen-SS

Informationen der Schweizer "Sonntagszeitung" zufolge erhalten Schweizer, die im Zweiten Weltkrieg bei der Waffen-SS mitmachten, heute noch von den deutschne Behörden eine monatliche Rente von 600 bis 900 Franken. Gemäß letzter statistischer Erhebung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BRD) von 1989 hätten 16 Schweizer zu diesem Zeitpunkt eine Versorgungsrente erhalten; derzeit sollen es noch zwischen 8 und 10 Schweizer sein. Bei diesen Beziehern handelt es sich um Personen, die im Zweiten Weltkrieg Mitglied der Waffen SS waren oder die Hinterbliebenen eines gefallenen Waffen-SS-Angehörigen sind. Recherchen der "Sonntagszeitung" haben darüber hinaus ergeben, daß rund 600 in der Schweiz lebende Personen in den Genuß einer deutschen Kriegsopferrente kommen. Bei diesem Bezieherkreis handelt es sich um Personen oder Angehörige von Kriegsopfern, die sich nach dem Krieg in der Schweiz angesiedelt haben. Die "Sonntagszeitung" beziffert die Anzahl der freiwilligen Schweizer Waffen-SS-Mitglieder zwischen 800 und 1300. Zugange waren diese in den SS-Divisionen Charlemagne, Wiking und Nordland. Die Wiking-Waffen-SS beging dabei das erste dokumentierte Kriegsverbrechen im Rußlandfeldzug: 1941 ermordeten sie über 600 galizische Juden. Auch der SS-Division Charlemagne wurden schwere Verbrechen an Kriegsgefangenen und an der französischen Zivilbevölkerung nachgewiesen.

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