VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.01.1999
antifNACHRICHTEN an9901
Nummer 1 / Januar 1999


Deutsche Gedenkstätten aus US-amerikanischer Sicht:

Öffentliche Verleugnung bei der Kriegserinnerung

von G.E. Schafft

Dr. G. E.. Schafft ist in der BRD bekannt geworden durch ihr hier 1996 zusammen mit Gerhard Zeidler herausgebrachtes Buch "Die KZ-Mahn- und Gedenkstätten in Deutschland". Als engagierte Antifaschistin reiste sie in vielen Jahren durch die alten und neuen Bundesländer und besuchte immer wieder die kleinen und großen Gedenkstätten für die Naziopfer. Zuhause in den USA verarbeitete sie ihre Eindrücke - im Vergleich mit ähnlichen Tendenzen in ihrem Lande - zu einem öffentlichen Vortrag vor der American Academy of Psychoanalysiis in New York, Januar 1998. Der Titel ihres Themas lautete: Öffentliche Verleugnung und die Erinnerung an den Krieg". Ihr Thema begründete sie einleitend folgendermaßen: Innerhalb verschiedener gesellschaftlicher Gruppen könne man Formen der Verleugnung feststellen. Wenn Personen von lokaler oder staatlicher Autorität diese zum Zweck gezielter Vergangenheitsdarstellung verbreiten, nimmt dies die Dimension einer öffentlichen Verleugnung an.
Mit der freundlichen Erlaubnis von Dr. Schafft drucken wir hier in Auszügen die Abschnitte, in denen sie die deutschen Gedenkstätten behandelt.


Noch immer kein Holocaust-Museum in Deutschland
Ist es also so seltsam, daß das Holocaust-Museum in Washington steht, Deutschland jedoch nach so vielen Jahren noch immer kein Denkmal, geschweige denn ein Museum hat, das dieses geschichtliche Ereignis in einer einheitlichen Ausstellung bearbeitet?
1993 wurde in Berlin die "Neue Wache" eingeweiht, ein Kriegerdenkmal im Herzen der Stadt. Das Denkmal stieß auf heftige Kritik, die sich gegen die ihm zugrundeliegende Konzeption richtet (Halbach 1995). Es rief nicht Sympathie mit den Opfern von Kriegen hervor, sondern klassifizierte alle Beteiligten als Opfer, eingeschlossen die Täter. Die in vierfacher Größe kopierte "Pieta" von Käthe Kollwitz, die das Zentrum des Denkmals bildet, wurde ursprünglich im Gedanken an ihren Sohn geschaffen, der als deutscher Soldat im ersten Weltkrieg auf belgischem Boden fiel.

Deutschland ist hinsichtlich seiner Erinnerung und Darstellung des Dritten Reiches und des Holocaust tief gespalten. Während viele Gedenkstätten an den Orten früherer Konzentrationslager erstaunlich aufmerksam mit Details und Erinnerungen umgehen, führen Exponate von Ausstellungen in Museen oft in die Irre oder informieren den Betrachter nur unvollständig über die vergangenen Ereignisse. Eines der schwierigsten Probleme besteht darin, völlig aufrichtig bezüglich des Ausmaßes an Gewalt zu sein, die der Staat auf sein eigenes Volk ausübte, um die deutsche Opposition im Dritten Reich zu unterdrücken. Beispielsweise wird gelegentlich berichtet, daß in Dutzenden von Städten in ganz Deutschland die Guillotine als Instrument von Tod und Terror benutzt wurde, doch wurde dies m. E. nie in offiziellen Darstellungen erwähnt.

Defizite bei Mahnmalen in Stuttgart und Berlin
In Stuttgart wurde eine Guillotine von den städtischen Justizorganen benutzt, um die antifaschistische Opposition gegen Hitler zu unterdrücken, doch informiert die Gedenkinschrift die Passanten nicht darüber, daß hier ihre Mitbürger enthauptet wurden. Eine Mitteilung, die entlang der umgebenden niedrigen Wände angebracht wurde, spricht nur von "Hinrichtung".
Im Zentrum der Stadt gibt es ein weiteres Denkmal für die Menschen, die dem Faschismus Widerstand leisteten. Es besteht aus großen Steinblöcken, die Inschrift befindet sich an der Innenseite des Denkmals. Dieser relativ private Raum dient nicht nur dem Nachdenken, sondern wurde von Passanten spontan als Toilette benutzt.
Zu bestimmten Anlässen finden in der Stadt Gedenkveranstaltungen statt, zu denen viele der Überlebenden unter jenen, die dem Naziregime Widerstand leisteten, nicht eingeladen werden. Sie werden oft aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Bereitschaft, trotz widriger Umstände gegen den Staat zu opponieren, und/oder aufgrund ihres Pazifismus als Außenseiter betrachtet.
Das Problem des Einsatzes der Guillotine kennzeichnet auch eine Ausstellung in Berlin-Karlshorst. Die Aussteller wollten in ihre Diskussion von "Feindbildern" oder Negativstereotypen einen Verweis auf Herbert Baum aufnehmen, der mit seiner Jugendgruppe jüdischer kommunistischer Aktivisten 1935 die Freiluftschau "Sowjetparadies" in Berlin in Brand setzte, die dazu vorgesehen war, die Russen als wenig mehr denn Tiere darzustellen. Der Direktor des Karlshorster Museums wollte die Natur von Feindbildern und ihren Beitrag zur Schaffung einer Atmosphäre diskutieren, in welcher Greueltaten leichter vorkommen konnten. Er erfuhr, daß er mehr über Herbert Baum nicht sagen durfte - die Tatsache, daß diese jungen Leute enthauptet wurden, betrachtete man als für die Ausstellung ungeeignete Information, und die Darstellung stellt nur fest, daß Herbert Baum und seine Gruppe verhaftet und ins Gefängnis gebracht wurden.

Erinnerung an Zwangsarbeit besonders schwierig
Ein besonders schwieriges Kapitel der Nazizeit stellen die im Dritten Reich verbreitete Zwangsarbeit und die damit einhergehenden Todesfälle dar. Teilweise erweist sich das Gedenken daran deshalb als problematisch, weil viele der Unternehmen, die damals von der Versklavung der Völker in den besetzten Ländern profitierten, noch heute existieren. Siemens beispielsweise benutzte Tausende solcher Arbeitskräfte und ließ in Dutzenden von Konzentrationslagern, wie z.B. Ravensbrück, produzieren, um seine Gewinne zu erhöhen. Im Privatmuseum von Siemens in München, das jährlich 100.000 Besucher empfängt, wird die bemerkenswert fortschrittliche Sozialpolitik des Unternehmens im frühen 20. Jahrhundert dargestellt, der Tätigkeit während es 2. Weltkrieges jedoch nur wenig Raum gewidmet. Hier wird festgestellt, daß die Anzahl der Siemens-Mitarbeiter ihren absoluten Rekord in den Jahren 1941 - 1945 erreichte und daß Siemens fast alle seine Werke durch die Bombenangriffe der Alliierten zu Ende des Krieges verlor. Die Darstellung suggeriert, daß nur durch großen Fleiß der Wiederaufbau und die Wiederherstellung der Firma in ihrer früheren Bedeutung erreicht werden konnten.
Die Tatsache, daß der "Hochstand der Beschäftigtenzahl" durch Zwangsarbeiter verursacht wurde, wird verschwiegen, ebenso die Beteiligung von Siemens an der Verwendung von KZ-Arbeitskräften und Errichtung von Produktionsstätten unmittelbar neben Konzentrationslagern. Die Ausstellung verschiebt den Blickpunkt auf die von Siemens erlittenen Verluste und stellt somit die Täter als Opfer dar.
Eine andere Form der Erinnerung an die Zwangsarbeiter findet man mitunter auf deutschen Friedhöfen. Wahrscheinlich liegen Tausende von Zwangsarbeitern aus im Krieg besetzten Ländern in namenlosen deutsche Gräberfeldern. In Rudolstadt gibt es ein unmarkiertes Gräberfeld mit Dutzenden von Kindergräbern unter den etwa 100 hier begrabenen Zwangsarbeitern. Die Namen der hier begrabenen Menschen sind den Mitarbeitern der Stadtverwaltung bekannt, sie wollen oder können jedoch keine Auskunft darüber geben, warum diese Menschen hier begraben wurden. Die Suche nach Zeugen führte zu einem Informanten, der damals in einer Fabrik neben sowjetischen Frauen arbeite, die in einem großen Lager einer nahen Stadt untergebracht waren. Die Frauen waren während des Vordringens der deutschen Okkupation in ihrem Heimatland verschleppt worden. Als sie in Lastwagen verladen wurden, nahmen viele ihre kleinen Kinder mit, um sie nicht einem ungewissen Schicksal in ihrem kriegszerfressenen Land zu überlassen. Als sie in Deutschland ankamen, gab es keine Möglichkeit für sie, für ihre Kinder zu sorgen, die somit meist dem Tod geweiht waren.

Groteske Gleichsetzungen von Synagogenbrand und Kirchenabriss
In einer der zentralen Museumsgalerien der Stadt München sind auf vielen Gemälden Szenen der Stadt aus ihrer Geschichte dargestellt. Dabei werden die Schicksale zweier Gebetshäuser, der Matthäuskirche und der Jüdischen Synagoge, als gleichartig dargestellt. Beide wurden "vor dem 2.Weltkrieg zerstört". Die Matthäuskirche wurde abgerissen, um Platz für den Straßenbau zu schaffen, während die Synagoge am 9. Juni 1938 zerstört wurde, da sie als Überbleibsel jüdischen Lebens nicht in die "Hauptstadt der Hitler-Bewegung" paßte.
Die Vertreter des Staates und der Kommune können aus Sorge um die Selbstwahrnehmung der Bürger oder zur Verfolgung bestimmter politischer Ziele ein Interesse daran haben, diskreditierende historische Geschehnisse zu verleugnen. Im allgemeinen müssen Vertreter der Regierung eine positive Position vertreten, um eine moralische Autorität gegenüber ihren Bürgern auszuüben, und als Partner anderer Nationen an globalen Ereignissen teilnehmen zu können. Wenn eine Regierung in einem öffentliche Raum wie z.B. einer Museumsausstellung zugibt daß sie militärische Waffen in grausamer Weise gegen Zivilisten einsetzte, dann kann dies zu Mißtrauen und Vorbehalten gegenüber dieser Regierung führen und im Falle künftiger Forderung nach Militärdienst individuellen Widerstand hervorrufen. Die Bürger könnten gezwungen sein, über ihre Einbeziehung in künftige Kriege nachzudenken, oder die Eignung ihrer Nation in Frage stellen, in Zukunft an gemeinsamen militärischen Aktionen mit anderen Nationen teilzunehmen.

Resümee über die Formen der Verleugnung
Im Folgenden sind einige Arten und Weisen genannt, wie diskreditierende Geschichte in öffentlichen Darstellungen geleugnet werden kann.
  • Bedeutungsverschiebung
  • Gezielte Fehlinterpretation von Tatsachen.
  • Zeitlich beschränkte und geografisch getrennte Darstellung zur Erklärung einer historischen Untat.
  • Weglassung wesentlicher Information.
  • Herunterspielen der Bedeutung.
  • Rekontextualisierung von Ereignissen.
  • Die Leiden des Täters sühnen die Leiden des Opfers.
Ein Museumsdirektor aus Deutschland wurde mit der Äußerung zitiert: "Die Nation ist eine Gemeinschaft von Leuten, die sich in Übereinstimmung darüber befinden, woran sie sich erinnern wollen und was sie vergessen müssen, um miteinander überleben zu können." (Jäschke 1995.)
Wahrscheinlich ist es nicht möglich, sich jederzeit der Missetaten unserer Vorfahren bewußt zu sein. Wenn jedoch früher geschehene Übergriffe unserer selbstsüchtigen, gewalttätigen und am meisten verachteten Instinkte auf das öffentliche Leben permanent und bewußt geleugnet werden, dann kann das nur zu einem fortgesetzten Unverständnis gegenüber der Natur der menschlichen Gemeinschaften führen. Auf Menschen, die sich mit solchen Perioden identifizieren oder ihre Opfer sind, kann die öffentliche Verleugnung vernichtende Wirkung haben. Sie kann ihr Realitätsgefühl, den Wert ihrer Existenz und ihre Selbstachtung zerstören.
Wenn eine Gesellschaft ihre Einbeziehung in Konflikte und Gewalt in der Vergangenheit leugnet, wenn sie diejenigen, die die Wahrheit vertreten, erniedrigt oder verunglimpft, wenn sie die geschehenen Ungerechtigkeiten oder Verstöße gegen die Menschlichkeit glorifiziert, oder wenn sie auch nur der Vergangenheit nicht ins Gesicht sehen will, dann geht sie den Weg der zukünftigen Wiederholung unwürdiger Verhaltensweisen.

G.E. Schafft

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 1999 J. Kaiser