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Nummer 2 / April 1999


Bündnis für Arbeit, Ausbildung und "Wettbewerbsfähigkeit"

Beschäftigungsprojekt - oder nationalistische Standortfalle

von Anne Rieger

Rechtsentwicklungen auch in der Gewerkschaft

Mit Entsetzen hat die gewerkschaftliche Öffentlichkeit, die Gewerkschaftsfunktionäre und ein großer Teil ihrer Mitglieder auf die Ergebnisse einer repräsentativen Wahlumfrage wenige Monate vor der Bundestagswahl reagiert. Dort wurde festgestellt, daß sich 32 % der 18 -24jährigen Gewerkschaftsmitglieder vorstellen könnten rechtsextrem zu wählen, bei den Nichtmitgliedern waren es 17 %. Über alle Altersgruppen waren es bei den Gewerkschaftsmitglieder 11%, bei den Nichtmitgliedern 8 %.

Nach der Wahl gab es zwar leichte Entwarnung - aber immerhin hatten 11 % der 18-24 jährigen Gewerkschaftsmitglieder rechtsextrem gewählt gegenüber 7 % bei den gleichaltrigen Nichtmitgliedern. 3, 6 % aller Gewerkschaftsmitgliedern gaben den Rechtsextremen ihre Stimme gegenüber 3,3 % Nichtmitgliedern.

Teils heftige Diskussionen - besonders in der Gewerkschaftsjugend folgten. Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ist offensichtlich keine Barriere für die Wahl einer rechtsextremen Partei. Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte sagte in einem Interview gleich nach der Vorwahlstudie, daß die gewerkschaftliche Bildungsarbeit "nachweislich nicht ausreichend" sei. Eine Bildungsoffensive in der DGB-Jugend und der Jugend der Einzelgewerkschaften folgte oder ist im Anlaufen. So wichtig und richtig diese Reaktion ist: Offen ist bisher die Frage geblieben, was denn die tiefere Ursache dieser überdurchschnittlichen Rechtsentwicklung in der Gewerkschaft ist. Hier soll ein Gedanke entwickelt werden, wohl wissend, daß es immer einen Strauß von Ursachen gibt.

Massenarbeitslosigkeit - die soziale Katastrophe unserer Zeit

In der Bundesrepublik sind 7,4 Mio Menschen arbeitslos, in der EU sind 18 Mio Arbeitslose registriert, weltweit sind es 800 Mio nach den ILO Angaben von 1994. "Seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre war die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch wie heut," schrieb der amerikanische Journalist Jeremy Rifkin 1995 in seinem Buch "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft".

Die Massenarbeitslosigkeit ist eine soziale Katastrophe gewaltigen und bedrohlichen Ausmaßes. So ist nur folgerichtig, daß sich die Gewerkschaften - auch in der Bundesrepublik - Gedanken darüber machen, wie das Problem zu lösen ist. Im November 1995 versuchte der Vorsitzende der IG Metall Klaus Zwickel mit seinem Vorschlag zum "Bündnis für Arbeit" das Thema Massenarbeitslosigkeit zum Thema Nr. 1 in den Medien und in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit zu machen.

Bündnis mit dem Gegner?

Das ist ihm offensichtlich gelungen. Aber er muß sich fragen lassen welcher Teufel ihn geritten hat, ausgerechnet mit denen ein Bündnis gegen Arbeitslosigkeit schließen zu wollen, die

1. die Verursacher der Massenarbeitslosigkeit sind

2. davon mit Höchtsgewinnen und der immensen Steigerung ihrer Aktienkurse profitieren

3. durch die Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zwischen Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden aufgrund der Massenarbeitslosigkeit profitieren.

Die aktuell vorhandene Massenarbeitslosigkeit entstand durch immense technologische und arbeitsorganisatorische Rationalisierung - insbesonders in den transnationalen Konzernen, den Großbanken und im Handel. Sie führte zu enormen Gewinnsteigerungen dieser Unternehmen und deren Aktienbesitzer. Warum also sollten sie sich verpflichten, auf Gewinne zu verzichten, um Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen und "Standorte" zu sichern? Warum ihre eigene Macht behindern? Die Erfahrung hat gelehrt: Je größer die Massenarbeitslosigkeit, um so stärker die Macht der Arbeitgeber und ihrer Verbände und um so schwächer die Kraft der Gewerkschaften. Die industrielle Reservearmee behindert die Gewerkschaften in Lohn- und Arbeitszeitauseinandersetzungen. Je höher die Arbeitslosigkeit, um so größer die Angst der Menschen in den Betrieben vor dem möglichen Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Ergebnis

So nimmt es nicht wunder, das die Massenarbeitslosigkeit im beschriebenen Zeitraum seit dem Beginn des ersten "Bündnisses für Arbeit" nicht gesunken ist, sondern sich sogar verschärft hat. Betrachtet man die offiziell registrierten Arbeitslosenzahlen vom November 1995 bis heute, so ist festzustellen, daß die Arbeitslosigkeit von damals 3,58 Mio nicht auf 3,25 Mio gesunken ist, wie es Klaus Zwickel vorschwebte, sonder auf 4,46 Mio gestiegen ist. Die Bündnisse für Arbeit hat in keiner Weise etwas zum Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen.

Bündnis mit den Verursachern?

Das Problem Massenarbeitslosigkeit blieb also auf dem Tisch, die tatsächlichen Verursacher aber, die Arbeitgeber blieben außen vor. Denn Teile der Gewerkschaftsführung hatte durch Bündnisversuche mit ihnen quasi dargelegt, daß man angeblich gemeinsam mit ihnen die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne.

Seit November 1995 liegt das Bündnis für Arbeit in der einen oder anderen Form als Lösungsvorschlag der Gewerkschaften zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit auf dem Tisch. Als Bündnispartner holten sie die Arbeitgeberverbände der Bundesrepublik sowie die deutschen Regierungen - zuerst die CDU/FDP und jetzt die SPD/Grüne - an den Tisch. Das erste Bündnis für "Arbeit und zur Standortsicherung" - es sollte nach Gewerkschaftsvorstellungen 330 000 Arbeitsplätze bringen, verbunden mit Lohnzurückhaltung bei den Tarifrunden und untertariflichen Einstiegslöhnen für Langzeitarbeitslose - platzte, nachdem die sozialliberale Koalition im Frühjahr 1996 damit drei Landtagswahlen gewonnen hatte, und der damalige CDU-Kanzler Helmut Kohl danach sein provozierendes Sparpaket "Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" im April 1996 vorlegte. Die Gewerkschaften bezeichneten es zu Recht als "Katalog der Grausamkeiten" und als "Geschenkpaket an Arbeitgeber, Wohlhabende und Reiche". In diesem halben Jahr stiegen die Arbeitslosenzahlen in der Bundesrepublik um ca. 388 000 und im nachfolgenden September realisierten die Regierung ihr Sozialabaupaket mit der Senkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der Aufhebung des Kündigungsschutzes in Kleinbetrieben - um nur 2 Stichworte des Abbaukatalogs in Erinnerung zu rufen.

Trotz dieser Niederlage schlug der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte Ende Mai 1997 ein Bündnis-Ost vor. 100 000 Arbeitsplätze sollten geschaffen werden. Im Juni 1998 konstatierte er das Scheitern. In Ostdeutschland spitzte sich die Beschäftigungssituation weiter zu. Mit den gleichen Arbeitgeberverbänden, aber einer anders zusammengesetzten Bundesregierung, wurde im Oktober 1998 ein neues "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" von der Gewerkschaftsführung gestartet.

Im Gefolge der bundesweiten Initiativen zum Bündnis für Arbeit, gab und gibt es in vielen Betrieben von Arbeitgebern initiierte sogenannte "Standort- und Beschäftigungsbündnisse" zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten. Für ca. ein bis drei Jahre wurden Beschäftigtenzahlen festgeschrieben oder betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Immer waren solche "Standort"vereinbarungen verbunden mit Kürzungen beim Einkommen oder mit der schleichenden oder sogar offenen Verlängerung von Arbeitszeit.

Die im Dunkeln sieht man nicht

Die Bündnisse haben die Massenarbeitslosigkeit nicht verringert. Erreicht wurde nur, daß bis zum Bundestagswahltag am 27. September 1998 die Arbeitslosigkeit nicht weiter stieg (im übrigen ist sie seitdem wieder angestiegen und die Zeitungsmeldungen über den aktuellen Arbeitsplatzabbau in den transnationalen Konzernen erreichen wöchentlich wieder neue Höchstzahlen wie z.B. bei Siemens, Alcatel, Deutsche Bahn AG, Deutsche Post usw.). Gestiegen sind auch die Gewinne und die Aktienkurse, die Lohnrunden 1996 und 1997 mit ca. 1,5 % und 2,5 % (Metallindustrie) fielen äußerst sparsam aus, Arbeitszeitverkürzung hat es seit dem 1.10.1995 (ebenfalls Metallindustrie) nicht mehr gegeben.

Die Bündnisse aber könnten - besonders in der gewerkschaftlichen Öffentlichkeit, also unter ihren Mitgliedern - dazu führen, daß die Unternehmer nicht als die Vernichter von Arbeitsplätzen wahrgenommen wurden, sondern als jemand, mit dem man gemeinsam am "Standort Deutschland" oder am "Standort Betrieb" die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, wenn man die Arbeitskraft nur ordentlich verbillige (Lohneinbußen oder Arbeitszeitverlängerung). Damit könne man die Arbeitsplätze in Deutschland gegen das angeblich billigeren Arbeitsplätze im Ausland verteidigen.

So mag es manchem schwer fallen, die Unternehmer als die tatsächlichen Verursacher der Massenarbeitslosigkeit im Blickfeld zu behalten. Insbesonders junge Menschen, denen die jahrzehntelange Erfahrung mit den permanenten Rationalisierungsstrategien der Unternehmer fehlt, können die tatsächlichen Verursacher aus den Augen geraten. Zumal die Unternehmerverbände seit einem Jahrzehnt das Klavier der Standortfrage nach allen Regeln der Kunst spielen: Nicht mehr Automatisierung, Informations- und Kommunikationstechnologien und veränderte Arbeitsorganisation wie z.B. Gruppenarbeit verringern beständig die notwendige Anzahl von Arbeitsplätze, sondern angeblich wir selber, mit unserem "zu hohen Anspruchsdenken an Lohn und Sozialleistungen" wie uns tagtäglich die Arbeitgeber und ihre Verbände erzählen. Damit machten wir die deutschen Produkte zu teuer.

Ist darin nicht im Umkehrschluß der Gedanke angelegt - natürlich niemals von den Arbeitgebern ausgesprochen - daß unsere KollegInnen, die Arbeitgeber und Gesetzgeber in anderen Ländern mit ihren angeblich billigeren Angeboten die Räuber unserer Arbeitsplätze sind? (Angeblich deswegen, weil von der hier höheren Produktivität und den geringeren Lohnstückkosten in dieser Diskussion nichts zu hören ist). Wird so nicht von den Arbeitgebern - ob gewollt oder ungewollt - ein "Standortnationalismus" verbreitet? Die "Andern in andern Ländern" wären ja nach dieser Logik die Verursacher von Massenarbeitslosigkeit und nicht sie selber.

Sozialen Fragen wie Arbeitsplatzverlust, Verringerung des Einkommens und Sozialabbau werden in gewerkschaftlichen Kreisen stärker thematisiert wird als anderswo. Könnte es nicht sein, daß solche, von der Arbeitgeberdiskussion angelegte "standortnationalistische" Tendenzen unter den Gewerkschaftsmitgliedern ungewollt dadurch stärker gefördert werden als bei Nichtmitgliedern, daß ein Teil der Gewerkschaftsführung sich selbst mitveratnwortlich fühlt für den "Standort Deutschland" und die "Wettbewerbsfähigkeit" der deutschen Wirtschaft, wie nun das letzte Bündnis für Arbeit auch noch tituliert wurde. Führung, Vorsitzende oder Leiter haben immer Vorbildcharakter - bewußt oder unbewußt, gewollt oder ungewollt - darüber muß man sich klar sein. Und reden nicht Teile der Gewerkschaftsführung ungewollt aber offensichtlich einem Standortnationalismus das Wort wenn sie sich an einem "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" beteiligen?

Auch das Motto des 1. Mai 1999 läßt die Befürchtung aufkommen, daß Teile der Gewerkschaftsführung in die von den Arbeitgeberverbänden aufgestellte Standortfalle tappen: "Neues Handeln. Für unser Land. Mitgestalten. Mitbestimmen. Mitverantworten." Nicht mehr die Interessenvertretung der Lohnabhängigen und Arbeitslosen aller Länder steht an erster Stelle der Agenda des DGB-Bundesvorstands, sondern nationale - standortnationale - oder muß man sagen, nationalistische Verantwortung?

"Unser Land" - wem gehört es denn? Befindet es sich neuerdings in Gemeineigentum?" fragt zu Recht Manfred Klöpper, DGB-Kreisvorsitzender Oldenburg/Wilhelmshaven.

Massenarbeitslosigkeit bleibt - die braunen Rattenfänger kommen

Mit dem Bündnis für Arbeit haben die Gewerkschaften das Problem Massenarbeitslosigkeit zu einem Thema in den Medien und damit auch in den Betrieben gemacht. Damit aber, daß sie die Unternehmer zu ihren Bündnispartnern eingefordert haben, haben sie gleichzeitig die Verursacher aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit genommen und das Thema Arbeitslosigkeit scheinbar zu einem nur nationalen Problem verengt.

Arbeitslosigkeit in anderen Ländern scheint kein Problem zu sein, denn Hauptsache in der Bundesrepublik gibt es Arbeitsplätze - da kann man auch schon mal mit dem Lohn runter gehen - und so KollegInnen in andern Ländern unterbieten.

Rechte Rattenfänger bieten Sündenböcke

Egal aber was die Gewerkschaften, was die Betriebsräte, was die Belegschaften taten - das Problem Massenarbeitslosigkeit blieb - wurde sogar stärker, die Angst wuchs. Es gab keine an die Wurzel gehende Maßnahme - Arbeitszeitverkürzung seit November 1995 ausgeblendet.

Da kamen die rechten Rattenfänger und hatten leichtes Spiel. Sie boten Sündenböcke an, die scheinbaren Verursacher der Arbeitslosigkeit. Sie plakatierten "Arbeit für Deutsche" oder "Jeder Deutsche hat das Recht auf Arbeit". Das suggeriert im Umkehrschluß: gäbe es keine Ausländer, die Massenarbeitslosigkeit wäre beseitigt. Kann das, ja muß das nicht stärker bei denen greifen, die sich mit dem Problem der Arbeitslosigkeit stärker befaßt haben als andere - also vielleicht bei einem Teil der Gewerkschaftsmitglieder?

Und stärker noch bei denen, die sich in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit bisher noch nicht so getummelt haben oder tummeln konnten? Also eher den Jüngeren?

Zu kurz gegriffen?

Zu kurz gegriffen, wird mancher sagen. Schon möglich - es soll auch keine allumfassende Antwort sein. Aber einen Gedanken sollten wir schon darauf verschwenden, ob mit der Standortdiskussion nicht eine nationalistische Standortfalle - angelegt ist. Denn Arbeitsplätze brauchen nicht nur wir in Deutschland - sondern Menschen in allen Ländern. Wäre nicht also das internationale Bündnis mit allen Gewerkschaften der Weg der Wahl, statt ein nationales Bündnis mit den Arbeitsplatzvernichtern im eigenen Land? Und darüber nachdenken sollten wir auch, ob mit dem Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit die Gewerkschaft nicht in diese nationalistische Standortfalle getappt ist und damit Teile der Mitglieder den rechten Rattenfängern ausgesetzt hat.


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