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Nummer 2 / April 1999


Alle reden von Entschädigung:

Die Taten lassen auf sich warten

von Alfred Hausser

Seit Wochen werden wir von den Medien mit Informationen über das Thema Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen gefüttert. Mehrfach hat Kanzleramtsminister Hombach mit Vertretern namhafter Banken und Industriekonzerne darüber verhandelt. Man will aus Spenden der einstigen Sklavenhalter einen "Versöhnungsfonds" gründen, aus dem ab 1. September 1999 Entschädigungen gezahlt werden sollen.

Diese Zusage wird aber an die Bedingung geknüpft, daß damit Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft garantiert wird. Das heißt im Klartext, daß die vor allem in den USA eingereichten Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen deutsche Konzerne wie Daimler-Chrysler, VW, Deutsche Bank zurückgenommen werden. Die damit betrauten Rechtsanwälte lehnen dieses Ansinnen bis jetzt ab.

Kuhandel um Einlagen

Diesen Kuhhandel beurteilt der bekannte Historiker Prof. Mommsen laut Frankfurter Rundschau vom 24.2.99 mit folgenden Worten: "Ein Dutzend Unternehmen zeigt sich inzwischen bereit, für den Fonds nicht näher bezeichnete Einlagen zu machen." Damit aber werde die Realität des Nationalsozialismus verzerrt, kritisierte Mommsen: Von Zwangsarbeitern hätten die gesamte Wirtschaft wie auch die Landwirtschaft profitiert. Auch die Rechtsnachfolger etwa der Reichsbahn und auch anderer Reichsunternehmungen ständen den Opfern gegenüber in der Pflicht. Der Fonds müsse eigentlich vom Bund getragen werden", sagte Mommsen. Die angestrebte Lösung sei "unglücklich, weil das jetzt als ein Problem des Kapitalismus deklariert wird."

Also geht es nicht um späte Anerkennung einer Schuld, sondern nackte Interessen sind der Hintergrund dieser Gespräche. Trotz wiederholtem Drängen der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Opfer nach einem Gespräch im Kanzleramt, gibt es bis zur Stunde keine Einladung.

Auch auf die offizielle Aufforderung an alle Nutzniesser der Zwangsarbeit sich an dem Fonds zu beteiligen, gibt es nur wenig positive Reaktionen. Dies hat uns veranlaßt, die Firma Bosch in einem Schreiben vom 23.2.99 aufzufordern, sich in angemessener Höhe an diesem Fonds zu beteiligen. Darauf erging am 2.3.99 an die Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS- Regime die folgende Antwort:

"Unsere derzeitige Haltung zu dieser Frage können Sie folgender Verlautbarung vom 10.2.1999 entnehmen:

"Der Robert Bosch GmbH liegen die Berichte der Medien über das Ergebnis der Reise von Minister Hombach nach Washington vor. Wir halten den Vorschlag, Zahlungen über einen Fonds abzuwickeln, für konstruktiv, können aber das Ergebnis erst bewerten, wenn weitere Einzelheiten bekannt sind."

Also man hält sich bedeckt und will kein Signal geben.

Konkrete Schicksale

Trotzdem kann man die erfreuliche Feststellung treffen, daß sich die Medien laufend und zum Teil sehr ausführlich mit dem Thema Entschädigung für Zwangsarbeit befassen und ein weltweites Interesse geweckt haben. Eine Flut von erschütternden Briefen aus allen Ländern - vorwiegend aus Osteuropa - erreicht uns. Manche betrachten offenbar unsere Interessengemeinschaft als eine Abteilung des Kanzleramtes, wenn Briefe an den Bundeskanzler Schröder an die Adresse Böblinger Str. 195 gelangen. Wieviele Erwartungen an eine baldige Entschädigung geknüpft werden, kann man auch aus dem folgenden Brief einer Frau aus Frunse herauslesen: "Man hat mich mit 14 Jahre nach Deutschland gebracht. Ich habe gearbeitet in große Fabrik in Karlsruhe. Name weiß ich nicht. Jetzt bin ich arm, alt und krank und brauche Hilfe."

Der Bundesausschuß der VVN-BdA und die Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter/innen haben in einer gemeinsamen Erklärung an die Presse vom 23.2.99 Entschädigung für Zwangsarbeit gefordert: "Das neue rot-grüne Regierungsbündnis hat in der Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998 die Gründung einer gesetzlichen Bundestiftung zur Entschädigung von NS-Zwangasrbeit unter Beteiligung der Industrie angekündigt. Dies stellt nach jahrzehntelanger Weigerung gegenüber entsprechenden Forderungen einen hoffnungsvollen Schritt in Richtung Gerechtigkeit gegenüber den Opfern des NS-Sklavenarbeitsprogramms dar. Dieser Plan ist zu begrüßen.

An diesen Schritt knüpft sich seither die berechtigte Erwartung der heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter/innen, daß ihre oft qualvolle Freiheitsberatung und die Vorenthaltung ihres Arbeitslohnes - wenn auch mit jahrzehntelanger Verspätung - vom deutschen Staat endlich als Unrecht anerkannt und von Seiten der Nutznießer der Zwangsarbeit einen materiellen Ausgleich erfahren würde.

Konkrete Forderungen

Die Entwicklung der letzten Monate, insbesondere das bekannt gewordene Ergebnis eines Treffens von Bundeskanzler Schröder mit Vertretern von Großbanken und -unternehmen am 16. Februar 1999, läßt jedoch Fragen und erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob die Bundesregierung und die Wirtschaftsvertreter zu einem wirklichen Schritt der moralischen und materiellen Genugtuung fähig und bereit sind.

Hierfür gibt es klare Maßstäbe:

1. Der deutsche Staat und die heutigen Unternehmen sowie Wirtschaftsverbände stehen als Rechtsnachfolger und Erben der einstigen Nutznießer der Sklavenarbeit von mehr als 10 Millionen ZwangsarbeiterInnen in der rechtlichen politischen und moralischen Verantwortung, wenigstens den heute noch lebenden Opfern angemessene Entschädigung zu leisten. Beide - Staat und Wirtschaft - haben in den Jahren 1939 bis 1945 Zwangsarbeit organisiert und die Betroffenen ausgebeutet. Die von Kanzler Schröder mehrfach ausgesprochene Weigerung einer staatlichen Mitfinanzierung und die beschämende Zurückhaltung von Banken und Unternehmen in Bezug auf eine Beteiligung an dem Entschädigungsfond stehen in kraßem Widerspruch zu dieser Verantwortung. Bei dieser Gelegenheit ist daran zu erinnern, daß es weder die Bundesregierung noch die Deutsche Bank AG seinerzeit für notwendig gehalten haben, auf die vom Europäischen Parlament am 16. Januar 1986 gefaßte Entschließung zur Entschädigung von Sklavenarbeitern auch nur zu antworten, obwohl sie von dieser internationalen Institution unmittelbar angesprochen worden sind.

2. Alle Zwangsarbeiter müssen entschädigt werden, und zwar in allen ihren Heimatstaaten und ohne die Ausnutzung der Währungsdisparitäten. Da keine genauen Zahlen der noch lebenden Zwangsarbeitsopfer bekannt sind, sondern nur realistische Schätzungen, die sich zwischen 800.000 und über einer Millionen bewegen, legen die öffentlich genannten, wesentlich geringeren Zahlen von Entschä-digungsberechtigten den Verdacht nahe, daß der Kreis der möglichen Empfänger von vornherein willkürlich eingeschränkt werden soll.

3. Eine Rückkehr zu langwierigen Antragsverfahren wie nach dem früheren Bundesentschädigungsgesetz (BEG) muß zurecht ausser Betracht bleiben, weshalb die vorgesehenen pauschalen Entschädigungen zu begrüßen sind. Aber die Höhe der Zahlungen muß für alle Empfänger in gleicher Weise angemessen sein. Deshalb ist es unerläßlich, daß Unternehmen und Wirtschaftsverbände wesentlich höhere Beiträge zu dem Entschädigungsfonds beisteuern, als bisher angekündigt - dies schon im Hinblick auf den Einsatz von Millionen Zwangsarbeiter/Innen in praktisch allen Bereichen der seinerzeitigen Kriegswirtschaft. Dies reicht von Bergbau und Rüstungsindustrie bis hin zur Landwirtschaft und Handwerk. Im Hinblick auf nicht mehr bestehende, damals ZwangsarbeiterInnen beschäftigende Betriebe, stehen sowohl die Wirtschaftsverbände als auch der Staat in der Verantwortung.

4. Ein Ausgleich, der dem Anspruch auf menschliche und moralische Befriedung langjährigen Unrechts genügen will, verlangt die Einbeziehung der Opfer selbst und ihrer Verbände in die Vorbereitung der Stiftungslösungen. Deshalb ist es vorbehaltlos zu begrüßen, wenn die Bundesregierung mit den Vertretern jüdischer Opferverbände Gespräche führt. Scharf zu mißbilligen ist aber die Nichteinbeziehung vor allem osteuropäischer und auch der deutscher Opferverbände in die bisherigen Gespräche. Dies stellt eine neue Mißachtung derjenigen dar, die seit Jahrzehnten als NS-Opfer nicht "vergessen", sondern bewußt ausgegrenzt wurden.

5. Eine angemessene Entschädigung setzt voraus, daß die zynische Verweigerungsstrategie mit ihren Hinweisen auf angebliche Verjährung, auf angebliche Nichtverantwortung der Unternehmen und auf völkerrechtliche Hindernisse sofort beendet wird. Deshalb fordern wir von Bundesregierung und Bundestag die Aufhebung möglicher Verjährungsfristen und von den Unternehmen den Verzicht auf mögliche Verjährungseinreden. Von einem Signal in dieser Richtung ist bislang nichts zu bemerken.

6. Der von Bundeskanzler Schröder den deutschen Unternehmen so nachdrücklich versprochene "Schutz" gegenüber exportgefährdenden Kampagnen, die von den Sammelklagen gegen deutsche Firmen in den USA ausgehen könnten, sowie die Abstinenz der meisten deutschen Unternehmen (selbst Weltkonzerne wie Bosch oder Züblin, bekannte "Zwangarbeiter-Geber" der Nazizeit, drücken sich bis heute) legen leider den Verdacht nahe, daß bei der angekündigten Fonds-Lösung nicht der Gedanke einer gerechten Entschädigung, sondern derjenige des Schutzes deutscher Kapitalinteressen im Vordergrund steht. Die VVN-BdA hält eine rechtliche Freistellung von möglichen Ersatzansprüchen einzelner Zwangarbeiteropfer nur dann für akzeptabel, wenn die jeweiligen Unternehmen ausreichende Beiträge in den Entschädigungsfonds einzahlen und ihre Firmenarchive öffnen.

7. Abschließend fordern wir Bundesregierung und Bundestag dazu auf, nach den Maßstäben der Gerechtigkeit eine rasche Lösung herbeizuführen sowie eine unbürokratische arbeitende Bundesstiftung zu gründen, bevor die letzte noch lebende Generation der Zwangsarbeiteropfer ohne ein Zeichen materieller Genugtuung weggestorben ist.

Alfred Hausser erlebte selbst das Schicksal eines Zwangsarbeiters und ist heute Ehrenvorsitzender der VVN - Bund der Antifaschisten und Sprecher der Intergemeinschaft ehemaliger ZwangsarbeiterInnen.


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