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Nummer 3 / Juli 1999


Traditionslinien deutscher Außenpolitik:

Etnische Minderheiten und der nächste Krieg

von Reinhard Hildebrandt

Zweimal seit der Reichsgründung durch Bismarck 1871 folgte die deutsche Außenpolitik dem gleichen Muster: erst Vorherrschaft über Europa, dann Weltmachtanspruch, dann Krieg. Zweimal endete die Expansion in der Katastrophe. Nun, nach fünfzig Jahren des Friedens, glaubt alle Welt, die Deutschen seien geheilt. Doch die Politik nach der Wiedervereinigung zeigt: Das Unglück nimmt von neuem seinen Lauf.

Alles beginnt wie einst. Damit Deutschland in aller Ruhe Kräfte sammeln kann, leitet es die europäischen Spannungen auf den Balkan ab – wie damals. Die wiedervereinte Nation lockert ihre Bindungen nach Westen und besinnt sich auf die ursprüngliche Ost- Orientierung – wie zu Zeiten Bismarcks. In der erweiterten Europäischen Union werden die alten Mitteleuropapläne Wirklichkeit – für die Wilhelm II. noch vergeblich kämpfte. Und ist das neue Deutschland erst stark genug, wird es seine Interessen auch außerhalb Europas definieren.

Beflügelt wird die neue "Weltpolitik" des Überall-dabeisein-Wollens, des Überall-mitreden-Wollens von radikalen Kräften, in deren Augen die bisher praktizierte Politik der Zurückhaltung eine Politik der Schwäche darstellt. Diese neue alldeutsche Bewegung aus Teilen des Militärs, der Wirtschaft und der politischen Rechten wird eines Tages auch bereit sein, die Kriegsziele zu formulieren.

Das ist im Klappentext des Buches "Deutschland und der nächste Krieg" von Wolfgang Michal zu lesen. Bundesaußenminister Klaus Kinkel formulierte diese Politik 1993 so: "Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht ... Unsere Bürger haben begriffen, daß die Zeit unseres Ausnahmezustandes vorbei ist."

Die Kenntnis subversiver Entwicklungen und großdeutscher Optionen begründen die Sorge um den europäischen Frieden und sind Thema der Broschüre "Von Krieg zu Krieg. Die deutsche Außenpolitik und die ethnische Parzellierung Europas der Autoren Walter von Goldendach, Hans-Rüdiger Minow und Martin Rudig. Eine Sonderausgabe wurde für die Ausschüsse der Vereinten Nationen (UN) und die Mitglieder der europäischen Behörden publiziert (Berlin 1997).

Zentrum für Minderheitsfragen

Die Zerschlagung Jugoslawiens wurde zum Testfeld der Außen- und Militärpolitik des größer gewordenen Deutschlands. Schon lange bevor der Konflikt im Kosovo eskalierte, wurden neue Werkzeuge geschmiedet, etwa das "Europäische Zentrum für Minderheitsfragen" (EZM) in Flensburg. Seine Bonner Initiatoren saßen im Auswärtigen Amt und im Innenministerium. "Die moderne Geschichte Europas lehrt uns, daß der Prozeß der Nationenbildung nicht abgeschlossen ist", verkündete der EZM-Direktor Stefan Troebst bei der Einweihung des neuen Zentrums im Dezember 1996 und forderte, das Recht auf Sezession müsse akzeptiert werden wie das Recht auf Scheidung und, als wolle er den Angriff der NATO auf Jugoslawien vorwegnehmen: "Auch souveräne Staaten haben Interventionen der internationalen Gemeinschaft zu akzeptieren." Zuvor hatte er bereits zwischen 1992 und 1993 für die Bundesregierung gearbeitet, war auf dem Balkan unterwegs, knüpfte "ein dichtes Netz an informellen Bekanntschaften" (Originalton Troebst) und entdeckte in Mazedonien, der früheren Teilrepublik Jugoslawiens und in "Nordwest-Griechenland" eine "albanische Minderheit", die es danach drängt, sich mit weiteren "albanischen Minderheiten" zu vereinigen. Leider siedeln die Albaner in den unterschiedlichsten Staaten und fügen sich keiner Grenzziehung. Dadurch, so Troebst, entstehe das "gravierendste ethnopolitische und territoriale (!) Problem auf dem Balkan". Er sieht einen "flächenbrandartigen Konflikt" heraufziehen, letzte Möglichkeit, ihn einzudämmen: "massives Engagement internationaler Machtfaktoren" (Troebst) und Deutschland müsse "ethnisch" helfen und - wohl oder übel – die Region militärisch befrieden. In mehreren öffentlichen Erklärungen hatte die griechische Botschaft dem heutigen EZM-Direktor Friedensgefährdung vorgeworfen.

Recht auf Sezession?

Daß die griechischen Vorwürfe keinen Einzelfall betreffen, zeigt das ganze Konzept des EZM, das überall Minderheiten in Europa entdeckt, denen "Autonomie" gebühre: in Frankreich die "Elsaß-Lothringer", die "Bretonen" oder "Provenzalen", in Italien die "Südtiroler Räteromanen" usw. Eine weitere Organisation mit dem Fantasie-Namen "Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen" (FUEV), ebenfalls ein Instrument deutscher Außenpolitik, sammelt das Konfliktpotential: die "Deutschen in Nordpolen", "Deutsche in Oberschlesien" und "Deutsche in der Slowakei" usw. Eine noch völlig unbedeutende Splittergruppe existiert ja bereits, die "Gemeinschaft Deutscher Osten" (GDO), die 1981 die "Vereinigten Länder des Deutschen Ostens im Deutschen Reich" (VLDO), einen Bundesstaaat im Vertriebenenstand (Exilstaat) gegründet hat, als vierter deutscher Nachkriegsteilstaat. Die deutsche Außenpolitik macht laut Hans-Rüdiger Minow nicht in Jugoslawien halt, sondern zielt auf Umsturz in ganz Ost- und Südosteuropa. Es gibt in einer Vorfeldstudie des Außenministeriums detaillierte Sezessionsszenarien für Rumänien, Ungarn, Lettland, Estland, Weißrußland, die Ukraine, Aserbaidschan und den Kaukasus. Rainer Hofmann, ein weiteres EZM-Vorstandsmitglied liefert dazu das theoretische Konzept. Er stellte die These auf, Minderheiten könnten als "Völker" verstanden werden, so daß ihnen sämtliche Rechte zustehen, die auch andere "Völker" beanspruchen dürfen – zum Beispiel das "Selbstbestimmungsrecht". Ziel: "Minderheiten, die als Volk und damit als Träger des Selbstbestimmungsrechts anzusehen sind, (kann) ein Recht auch auf Sezession zuwachsen." Für die Aufsprengung von Staaten genügt es laut Hofmann, daß Minderheiten ("Völker") in ihrer "eigenständigen Identität" bedroht und "assimiliert" werden. Die FUEV war 1954 unter maßgeblicher Beteiligung hochrangiger NS-Krimineller gegründet worden, die bereits in der Hitler-Zeit "Volksgruppen"- Politik betrieben hatten.

Vorbild Bagdadbahn?

Deutschland will die gleichen Einflußzonen wie damals zur Zeit der Bagdad-Bahn, eine Eisenbahnlinie von Berlin bis Bagdad, finanziert und organisiert von der Deutschen Bank. Die Bagdadbahn sollte aller Welt zeigen: Was links und rechts des Schienenstrangs liegt, gehört uns. In den Denkfabriken der US-Außenpolitik kursiert seit langem das Schlagwort vom Erdbebengürtel, der vom Balkan über den Kaukasus bis an die Grenzen Chinas reiche. Diese Zone müsse im Interesse des Weltfriedens und des Handels stabilisiert werden. Deutschland will dabei sein und wieder seinen Platz an der Sonne haben. Das nächste "Kosovo" könnte in Montenegro liegen, eine "Befreiungsarmee von Montenegro" (OVCG) könnte die Lostrennung Montenegros von der Bundesrepublik Jugoslawien betreiben, berichtete die französische Zeitung "Humanité" im Mai dieses Jahres.


Quellen- und Literaturhinweise:

  • W. v. Goldendach, H-R. Minow, M. Rudig: Von Krieg zu Krieg, Berlin 1996.

  • H-R. Minow: Ethischer Imperialismus, in "Konkret", Heft 5, Mai 1999.

  • Wolfgang Michal: Deutschland und der nächste Krieg, Berlin 1995.

  • Ralph Hartmann: Die ehrlichen Makler. Die deutsche Außenpolitik und der Bürgerkrieg in Jugoslawien, Berlin 1998.

  • Arnold Sherman: Die Zerschlagung Jugoslawiens. Bürgerkrieg und ausländische Intervention, Freiburg 1994.



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