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Nummer 4 / Oktober 1999


Das Militär erobert den öffentlichen Raum:

Öffentliche Gelöbnisse sind Kriegsvorbereitung

von Elke Günther

Die Republik wird in diesem Jahr von einem wahren Gelöbnismarathon ereilt. Sechshundertmal - das macht im Jahresdurchschnitt 1,65 mal am Tag - erklären an sechshundert verschiedenen Orten junge Männer: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen". Ob sie es dabei spüren, dieses patriotische Kribbeln im Nacken, das sich beim kollektiven Unterwerfungsritus zuverlässig einstellen soll?

Wer als Wehrpflichtiger nicht geloben will, braucht es übrigens auch nicht zu tun. "Verweigerung des Gelöbnisses hat keine Rechtsfolgen", heißt es im Militärischen Taschenlexikon von 1961. Freilich braucht sich der Verweigerer auch nicht zu wundern, wenn er in seiner gesamten Dienstzeit nicht befördert wird - was im Geldbeutel deutlich zu spüren ist.

Demonstration gegen liberale Ideen
Die Wehrpflicht und Gelöbnis fussen übrigens nicht in preussisch-militaristischen Traditionen. Die Wehrpflicht hat ihren Ursprung in der französischen Revolution. Die Bürger wurden zu den Waffen gerufen, um die Revolution gegen ihre Feinde zu verteidigen. War der Feind vertrieben, sollte Schluß mit der Wehrpflicht sein. Auch das Gelöbnis wurzelt ursprünglich in demokratischen Volkserhebungen 1830 und 1848 als Bürger feierlich versprachen, Freiheitsrechte zu erobern und zu verteidigen. Nach der Niederlage der bürgerlichen Revolution wurde ihr ursprünglicher Sinn in sein Gegenteil verkehrt. Öffentliche Gelöbnisse wurden zur unverhüllten Demonstration des Staates gegen liberale Ideen. Die Armee wurde nicht - wie den Revolutionären 1848 zugesagt - auf die Verfassung vereidigt, sondern auf den König. In der Zusammenfassung der Dienstvorschriften der preußischen Armee von 1873 heißt es: "Das erste Erfordernis eines jeden Soldaten unserer Armee ist: religiöse Liebe und Anhänglichkeit an den König und Heilighaltung des geleisteten Eides der Treue". Was genau der Wehrpflichtige darunter zu verstehen hatte, erklärte Wilhelm II. bei einer Gelöbnisgroßveranstaltung im November 1891: "Ihr habt mir Treue geschworen, das heißt, ihr seid jetzt meine Soldaten... Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, daß ich euch befehle, eure eigenen Verwandten, Brüder, ja: Eltern niederzuschießen. Aber auch dann müßt ihr meinen Befehl ohne Murren befolgen." Das Gelöbnis findet nun seinen Sinn darin, öffentlich den Bürger in das System des Drills einzupassen und ihn zu lehren, daß er als Einzelner gegenüber dem Höheren - dem Staat, verkörpert im Militär - einen geringen oder gar keinen Wert besitzt. Für einen abstrakten Anteil an der Größe und Macht der Nation soll sich der Untertan freudig opfern, unterordnen, um Eins zu werden mit dem religiös überhöhten Staat.

Von der Verfassung zum Führer
Die Weimarer Republik vereidigte ihr Hunderttausend-Mann-Berufsheer zwar auf die Verfassung der Republik, nahm es aber hin, daß ihre höchsten Offiziere nicht nur erklärten, die Verfassung kümmere sie nicht, sondern auch entsprechend handelten. Die Eidesformel lautete: "Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und gelobe, daß ich als tapferer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten will." Am 2. Dezember 1933 schaffte Hindenburg den Verfassungseid ab. Dies war als Verbeugung vor den neuen Machthabern gedacht, entsprach aber durchaus auch dem eigenen Wunsch. Die Formel lautete nun: "Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich Volk und Vaterland allzeit treu und redlich diene und als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen."
Nach Hindenburgs Tod wurde die Formel sofort wieder geändert. Die mililtärische Führung in Gestalt der Herren Blomberg und Reichenau dienten dem Führer und obersten Befehlshaber der Wehrmacht die folgende Eidesformel an: "Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen." 1935 führte Hitler unter Bruch des Versailler Vertrages die allgemeine Wehrpflicht ein. Öffentliche Gelöbnisse fanden jetzt häufig statt.

Vom Führer zum deutschen Volk
1956 - überall waren noch die Trümmer des letzten Krieges zu sehen - verabschiedete der Deutsche Bundestag am 21. Juli 1956 das Wehrpflichtgesetz. Es herrschte Kalter Krieg. "Diese Armee wurde nicht gegründet, um einen Staat zu verteidigen, sondern dieser Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen den Osten ins Feld zu stellen" kommentierte später Spiegel-Herausgeber Augstein. Die Bundeswehr wurde von Wehrmachtsoffizieren mit entsprechender "Berufserfahrung" aufgebaut. Berüchtigte Schleifer und Menschenschinder sorgten immer wieder für Skandale in der Truppe. Mit öffentlichen Auftritten hielt man sich vorläufig noch zurück. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die neue Armee, in der der Naziungeist fröhliche Urstände feierte, sehr wenig Sympathie in der Bevölkerung fand.
In den frühen 70er Jahren, als "mehr Demokratie" gewagt werden sollte und die Wehrmachtsoffiziere in die Jahre gekommen waren oder ganz auf den ewigen Schlachtfeldern weilten, kam bei Teilen der Bundeswehrführung das von dem Militärreformer Wolf Graf von Baudissin erarbeitete Konzept des "Staatsbürgers in Uniform" und der "inneren Führung" in Mode. Die Entspannungspolitik machte es möglich, "Frieden ist der Ernstfall" hieß es jetzt. Gelöbnisse fanden hinter den Kasernentoren statt. Die Eidesformel selbst, in der das Grundgesetz nicht vorkommt, dafür aber der Soldat gelobt, "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen" - was fast beliebig interpretiert werden kann - wurde nicht in Frage gestellt.

Das Militär erobert die Straße
Zu Beginn der 80er Jahre, noch auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Stationierung der atomaren US-Mittelstreckenraketen, traute sich die Bundeswehr vereinzelt wieder auf die Straße. Doch fast überall stießen die öffentlichen Gelöbnisse auf heftige Proteste. Richtig ernst gemacht mit der Eroberung des öffentlichen Raums hat die Bundeswehr erst nach dem Ende der sozialistischen Staaten. Während noch allenthalben von der nun fälligen Friedensdividende gefaselt wurde, bereitete sich die Bundeswehrführung auf die neue Lage vor. Generalinspekteur Naumann legte mit den "verteidigungspolitischen Richtlinien" ein neues Strategiekonzept vor. "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt..., Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft..." heißt jetzt der "Verteidigungsfall" der freilich auch einen neuen "kriegstüchtigen Kämpfertypus" erfordert. "Kämpfen können und kämpfen wollen!" heißt die Parole, die bereits 1993 vom für die Ausbildung im Heer zuständigen General ausgegeben wurde. "Ethos, Erziehung, Sinnvermittlung und Motivation" müsse nun die Bundeswehr durchdringen.
Diese Politik wurde mit einer Neubesinnung auf die "Leistungen der Wehrmacht" verbunden. Als hätte es keine Nazis und keine Kriegsverbrechen gegeben, wird Tapferkeit an sich als eine Traditionslinie aufgebaut. Militärische Leistungen im Zweiten Weltkrieg, organisatorisches Können als solches, wird für würdigungswert erklärt. In dieses Bild paßt die Umbennung der zu DDR-Zeiten durchweg nach Antifaschisten benannten Kasernen im Osten der Republik.

Null Toleranz
Wohl auch um der Kritik, die Bundeswehr betreibe die Verharmlosung von Wehrmachtsverbrechen entgegenzutreten, wurde in die Berliner Gedenkfeier zur Erinnerung an die Offiziere des 20. Juli als besondere Attraktion ein Großgelöbnis eingebaut. Seht her, die Bundeswehr steht in der Tradition der Offiziere des 20. Juli, soll die Botschaft lauten. Das ist nicht so geschmacklos wie manche meinen, denn wenn der Krieg am 20. Juli 1944 nicht schon verloren gewesen wäre, dann hätten ihn die Herren Offiziere auch nicht beenden wollen. Bundeskanzler Schröder brillierte bei der Gelöbnisfeier mit fundierten Kenntnissen der jüngeren Geschichte: Die Soldaten wüßten, daß die Bundeswehr "schon bei ihrer Gründung auf neue, wenn man so will: anti-militaristische Fundamente gestellt" wurde. Etwa an der Stelle, als Schröder dem geneigten Publikum erklärte, "Bundeswehrsoldaten haben als Kämpfer für die Freiheit wirken können", begannen einige der versammelten Damen und Herren die nationale Feierstunde mit ansprechend bunten Regenschirmen, dunklen Traueranzügen und splitternackten Tatsachen aufzuheitern. Die blamierte Staatsgewalt reagierte sauer: 13 Haussuchungen, gegen 14 Personen wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Urkundenfälschung eingeleitet. Sogar Haftbefehle gab es. Wegen Lächerlichmachung der Bundeswehr?

Gelöbnisse sind Kriegsvorbereitung
Die Bundesrepublik Deutschland hat zum ersten Mal in ihrer Geschichte Krieg geführt. Ein Krieg, in dem mindestens 3000 Menschen starben, ein Krieg der Not und Zerstörung über die betroffene Bevölkerung brachte und auf lange Zeit irreparable Umweltschäden hinterließ. Die eine Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung war schließlich gegen den Krieg, aber auch der befürwortende Teil zeigte wenig nationale Begeisterung. Mit einer solchen Haltung läßt sich kein für die Bundesrepublik verlustreicherer Krieg führen. Eine Armee, die Eroberungsfeldzüge führen soll, muß mehr als nur akzeptiert sein. Die Mehrheit der Bevölkerung muß sich mit ihr identifizieren, "unsere Jungs werden's denen schon zeigen", die Armee muß von der ganzen Bevölkerung getragen sein, ja Begeisterung hervorrufen. Von diesem Zustand sind wir erfreulicherweise noch ein ganzes Stück entfernt. Das zeigt auch die hohe Zahl der Kriegsdienstweigerungen. In Großstädten finden öffentliche Gelöbnisse häufig im Polizeikessel statt, kaum ein größerer Ort, in dem angekündigte Gelöbnisse keinen Protest hervorrufen. Das soll sich bald ändern. Zunächst geht es darum, größere Akzeptanz für die Bundeswehr zu schaffen. Der häufige Auftritt von uniformierten jungen Männern die auf öffentlichen Plätzen feierlich verkünden, der Bundesrepublik treu dienen zu wollen gehört zu diesen akzeptanzschaffenden Maßnahmen. Öffentliche Gelöbnisse sind letztlich kriegsvorbereitende Maßnahmen. Dies unmissverständlich klarzumachen, ist Aufgabe von DemokratInnen und AntifaschistInnen.

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