VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.10.1999
antifNACHRICHTEN an9910
Nummer 4 / Oktober 1999


Nach dem erneuten Wahlerfolg der DVU in Brandenburg:

Funktion und Einfluß des Neofaschismus in der BRD

von Reinhard Hildebrandt (Landessprecher)

Dies versprach Bonn 1970 gegen den Neonazismus zu tun: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unternimmt seit Jahren wirksame Maßnahmen für das Verbot nazistischer und rassistischer Organisationen und Gruppen für deren gerichtliche Verfolgung ." (Ziffer 1 der Erklärung der Bundesregierung vom 31. Juli 1970 in einem Bericht an die Generalversammlung der UNO). Maßnahmen, die noch heute auf sich warten lassen!

Der Einzug der neofaschistischen DVU mit 5,28 Prozent (58225 Wählerstimmen) in den Landtag von Brandenburg löste bei den Politikern die gewohnten Rituale aus. Man ist beunruhigt, erschrocken, entsetzt. Falsche Verharmlosung bei der SPD, ihr Generalsekretär Franz Müntefering beeilte sich zu versichern, der Einzug der DVU dürfe nicht überdramatisiert werden, die Partei werde und könne keinen Einfluss im Landtag haben. Übliche Schuldzuweisung bei der CDU. Für ihren Vorsitzenden Wolfgang Schäuble ist der Einzug der DVU eine Folge der misslungenen Politik der SPD in Brandenburg. Wir hören wieder die beschwörenden Appelle: Die politische Bildung müsse verbessert werden. Auch die VVN-BdA fordert: Alle demokratischen Kräfte müssten sich stärker und intensiver mit rechtsextremen und rassistischen Erscheinungen in der deutschen Gesellschaft auseinandersetzen. Doch Aufklärung und Warnrufe allein sind nicht ausreichend. Handeln und Taten sind notwendig!

Polizeischutz für Neonazis
Statt Verbot werden Auftritte und Aufmärsche von Neonazis nicht nur geduldet sondern sogar noch behördlich und polizeilich geschützt. Jüngstes Beispiel ist ein politischer Skandal ersten Ranges: Mit dem größten Polizeieinsatz seit 1984 hatte der Hamburger Senat am 10. Juli 1999 den Naziaufmarsch in Hamburg-Bergedorf durchgesetzt. 6200 Polizisten und BGSler aus fast allen Bundesländern, 20 gepanzerte Räumfahrzeuge und mindestens 10 Wasserwerfer, dazu hunderte weitere Fahrzeuge waren im Einsatz. "Dank des starken Polizeiaufgebotes konnte die Antifa unsere Demonstration nicht verhindern", triumphierte die NPD. Den demokratischen und antifaschistischen Kräften dieser Stadt wurde gleichzeitig das Recht auf eine Versammlung in Bergedorf selbst und das Recht auf eine Gegendemonstration in der Hamburger City verweigert. Wie schon so oft: Deutsche Polizisten schützen die Faschisten! Die IG-Metall Elmshorn machte eine Strafanzeige gegen den Polizeipräsidenten Hamburgs und die Mitglieder der Polizeieinsatzleitung wegen Strafvereitelung im Amt.

Finanzierung aus Steuergeldern
Oft wird in den Medien die Bedrohung durch den Neofaschismus reduziert auf zwei Aspekte: neofaschistische Parteien und neofaschistische Gewalt. Seit 1949 haben neofaschistische Parteien in 17 Fällen den Einzug in ein deutsches Länderparlament geschafft. Aber nur in drei Fällen konnten sie diesen Erfolg bei der nächsten Wahl wiederholen. Neofaschisten in Parlamenten fielen bisher auf durch Politikunfähigkeit, Faulheit und finanzielle Unredlichkeiten sowie Parteiaustritte. Unbeachtet bleibt in dieser Sicht oft der weitaus wichtigere Zugang zur Wahlkampfkostenrückerstattung. So schuf in der Vergangenheit mehrfach erst der staatliche Geldsegen für die Feinde der Demokratie den finanziellen Rahmen zum Aufbau bundesweiter Organisationstrukturen. Die Finanzierung von Neofaschisten aus Steuergeldern würde bei einem Verbot der neofaschistischen Parteien beendet.

Verharmlosung als "Einzeltäter"
Der zweite oft angeführte Aspekt des Neofaschismus ist die Gewalt der "Stiefelfaschisten" und Skinheads, die Terrorisierung und Verfolgung von Menschen, die nicht dem neofaschistischen Deutschtumsideal entsprechen brutale Morde, Brandanschläge, Friedhofsschändungen, Antisemitismus und scheinbar allgegenwärtige profaschistische Schmierereien sind ebenso Zeichen der Gewalt der Neofaschisten wie sogenannte "befreite Zonen", die sich Neofaschisten gewaltsam erobert haben und in denen sie andere Menschen und Meinungen unterdrücken und terrorisieren. Dabei ist die krasse Diskrepanz zwischen steigendem neofaschistischem Gewaltpotential und polizeibekannten Neofaschisten und die scheinbare Neigung bundesdeutscher Justiz, Gewalttaten als individuelles Vergehen jenseits neofaschistischer Organisationszugehörigkeit oder Weltanschauung zu verurteilen, offenkundig deutsche Neofaschisten sind oftmals scheinbar eine mehrere tausendköpfige Masse von "Einzeltätern".

Aufgaben des Antifaschismus
Die Schlagzeilen über rechte Gewalt sind alltägliche Normalität geworden. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht in Brandenburg oder anderswo Überfälle von Nazis verübt werden. Wo sie sich in der Überzahl fühlen, agieren die braunen Banden brutaler denn je. "Was kann ich denn machen?" fragen viele resignierend. Den neonazistischen Schlägern muß in jeder Situation klar gemacht werden, dass es für Feinde der Demokratie keine Toleranz gibt, dem Nazi-Mob muss entgegengetreten werden. Deshalb sind Aufrufe zu Bündsissen gegen Rechts, von wem sie auch ausgehen, etwas Positives. Das ist zweifellos eine zentrale Aufgabe des Antifaschismus. Aber eine ausschließlich "reine" Bekämpfung neofaschistischer Strukturen macht sich von der Existenz konkreter Gegner vor Ort abhängig und vernachlässigt den gesellschaftlichen Anspruch des Antifaschismus. Es ist notwendig, in der Bundesrepublik ein Klima der gesicherten Demokratie zu schaffen, in dem für Neofaschisten kein politischer Raum bleibt. Diese Klima muss durch große und immer erkennbare Mehrheiten der Bevölkerung der Bundesrepublik getragen sein.

Funktionen des Neofaschismus
Trotz Terror und individuellem Leid besteht die vom Neofaschismus ausgehende unmittelbare Gefahr nicht in der Übernahme der Dikaturgewalt durch eine neofaschistische Partei oder Bewegung. Die weitaus gößere aktuelle Bedrohung durch den Neofaschismus, auch, weil vielfach ignoriert oder unerkannt, ist seine politische Funktion in einer nach rechts rückenden Gesellschaft, in der sich soziale Konflikte verschärfen, Wirtschaftsinteressen gegenüber sozialer Gerechtigkeit dominieren, die Ausbeutung weiter wächst, antidemokratische Verfassungs- und Gesetzesänderungen ebenso zum beinahe alltäglichen Geschäft zählen wie eine Militarisierung der Außenpolitik, zu deren Instrumentarium mittlerweile auch wieder der offenkundige Verfassungs- und Völkerrechtsbruch eines Angriffskriegs zählt.
Das neofaschistische Gefahrenpotential ist mehrschichtig und umfasst verschiedene politische Funktionen:
  • Der Neofaschismus dient als Integrationsmechanismus gesellschaftlicher Protestpotentiale, um die aufzufangen, die von anderen politischen Integrationsmechanismen der Herrschenden nicht mehr aufgefangen werden können. Ihr Protest und ihre Aggression wird durch den Neofaschismus kanalisiert und ab- bzw. umgelenkt, weg vom Staat und damit weg von der Systemdestabilisierung hin auf Minderheiten und sog. "Randgruppen", deren "Sündenbockfunktion" ablenkt von den wahren Verursachern der Arbeitslosigkeit und Verschlechterung der sozialen Lage.
  • Der Neofaschismus hat eine klare Alibifunktion für eine reaktionäre und inhumane Regierungspolitik. Was bürgerliche Regierungs- und Oppositionsparteien an "unpopulären" Forderungen und Gedanken nur mit Prestigeverlusten äußern können, kann durch den Neofaschismus propagiert und in die Diskussion gebracht werden. Intensiv betrieben, tritt bei der Bevölkerung ein "Gewöhnungseffekt" ein, und das Thema kann von "Demokraten" diskutiert und abgeschlossen werden. Die faktische Abschaffung des Asyxlrechts war hierfür ein Lehrstück.
  • Ebenfalls in diesen Bereich gehört die langfristige ideologische Umorientierungsfunktion des Neofaschismus, das kontinuierliche Hinarbeiten auf einen ideologisch-kulturellen Wechsel. Neben einer "geistig-moralischen Wende", die nichts anderes ist als der Rückgriff auf überkommene "deutsche" Werte und Traditionen, die schon in der Vergangenheit mitverantwortlich waren für die faschistische Terrorherrschaft und ihre Vorbereitung. Zu dieser politischen Funktion zählt auch das Streben nach einer "Revision" der Geschichtsauffassung, die mit wachsendem zeitlichen Abstand zum Hitlerregime zu wachsen scheint. Augenscheinlichstes und geradezu sinnbildhaftes Merkmal dieser Bestrebungen ist der rechte Amoklauf gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944", der Konservative, Neofaschisten und Rechtsterroristen eint.
  • Die terroristisch-gewalttätigen Teile des Neofaschismus haben eine Einschüchterungsfunktion. Ihr Einschüchterungs- und Schlägerpotential richtet sich gegen die demokratische Protestbewegung und setzt diese der erpresserischen Situation aus, sich entweder wehrlos terrorisieren bzw. einschüchtern zu lassen oder aber sich zu wehren und damit seitens der Staatsgewalt und des Staatsschutzes den Neofaschisten gleichgestellt zu werden, um so in der Öffentlichkeit ein Gefühl allgemeiner Destabilisierung der Bürgersicherheit durch ununterscheidbare "Gewalt von links und rechts" zu erwecken. Das ist der Vorwand für die Forderung nach Stärkung der Gewaltbefugnisse der Regierung und Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechtes.

Erfolgskonzept der DVU
Betrachtet man diese Hintergründe, wird es verständlich, warum die DVU zu Wahlen zugelassen wird, obwohl die DVU ihrem Wesen nach nur die Fiktion einer Partei ist, organisatorisch und personell nirgendwo präsent, außer den Marionetten des Multimillionärs Frey in den Landtagen von Sachsen-Anhalt, Bremen und Brandenburg; politisch-programmatisch nur in wenigen Parolen fassbar, die alle nur einem einzigen Thema gelten: "Die Ausländer sind an allem schuld!". Es wird klar, warum die DVU-Liste zur Landtagswahl in Brandenburg zugelassen wurde, obwohl der Verfassungsschutz mitgeteilt hatte, dass die DVU ihre Kandidaten gesetzeswidrig aufgestellt habe. Und warum sich Frey rühmen kann, der konservative Staatsrechtler Maunz, Kommentator des Grundgesetzes, habe das Programm der DVU mitformuliert.
Die Brandenburger DVU hat nach eigenen Angaben 400 Mitglieder, konnte aber offenbar reichlich Interessenten fürs Plakatekleben und zum Verteilen von Werbematerial aktivieren. In weiten Teilen Brandenburgs war die DVU in der letzten Phase des Wahlkampfs optisch unübersehbar. Sie rühmt sich, ein Brandenburg-Programm von 100 Punkten in 1,2 Millionen Auflage an alle Haushalte verteilt zu haben. Es handelt sich dabei um die alte DVU-Propaganda "Deutsches Geld für deutsche Aufgaben", nur differenzierter und geschickter verpackt, gemischt mit ausländerfeindlichen Aussagen. Zweieinhalb Millionen Mark aus Gerhard Freys Privatkasse für die Materialschlacht im Wahlkampf und tumbe Sprüche trugen dazu bei, dass die DVU auf der Woge einer unzufriedenen Grundstimmung ins Landesparlament geschwemmt wurde.

Soziale Misere als Nährboden
Die "Republikaner" traten in Brandenburg nicht an. Sie hatten sich mit der DVU geeinigt, sich nicht gegenseitig die Stimmen abzujagen. Die NPD erzielte lediglich 0,7 %. Auffällig ist, dass die DVU in den östlichen Regionen, also nahe oder in den Grenzgebieten zu Polen, durchschnittlich besser abgeschnitten hat, als in anderen Landstrichen Brandenburgs. Geringe Freizeitangebote und schlechte berufliche Aussichten für Jugendliche in Brandenburg bereiteten den Neonazis leichtes Spiel. Im Land Brandenburg fehlen mehrere tausend Lehrstellen. Jeder fünfte Schulabgänger ist davon betroffen. Anhaltende Arbeitslosigkeit von regional 15 20 % vor allem auch unter Jugendlichen verschärfen die Situation. Die soziale Lage und die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher sind ein ausreichender Nährboden für die Neofaschisten.

Wahlergebnisse und Nazipotential
Eine Mitte März 1998 im Auftrag der PDS durchgeführte Umfrage ergab, dass der zentrale Wahlkampfslogan der DVU "Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche" im Gebiet der Ex-DDR von 60 Prozent unterstützt wurde.
Bei den Landtagswahlen in Thüringen erreichte die DVU nur 3,1 Prozent (36 344 Wählerstimmen). In Sachsen trat die DVU nicht an, dort holten die NPD 1,4 Prozent (29 535 Stimmen) und die REP 1,5 Prozent (32 786 Stimmen). In Thüringen gaben die REP schon vor der Wahl auf, es gab fast keine Plakate und nur minimale öffentliche Aktivitäten im Wahlkampf, entsprechend marginal war das Wahlergebnis. Auch die thüringische NPD scheiterte mit einem minimalen Stimmenanteil. Die Wahlergebnisse zeigen nur einen Teil der Realität. Das neofaschistische Meinungs- und Stimmungspotential ist erheblich größer als die Zahl der Wählerstimmen für die DVU, NPD oder REP. Da die DVU keine Direktkandidaten aufgestellt hatte und nur über die Zweitstimme wählbar war, ist die Frage interessant, wem die DVU-Wähler ihre Erststimme gegeben haben. Darüber liegen keine Wahlanalysen vor. Aber im allgemeinen wählt man eine neofaschistische Partei auch aus "Protest" zur herrschenden Politik nur dann, wenn man sich zumindest teilweise in ihren Aussagen und Parolen wiederfindet. Falsch ist wohl die Meinung, die niedrige Wahlbeteiligung in Brandenburg hätte zum Wahlerfolg der DVU beigetragen. Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 1998 zeigten das Gegenteil, dort kam die Steigerung der Wahlbeteiligung um fast 17 Prozent zum größten Teil der DVU zugute. Die Wahlbeteiligung in Brandenburg erreichte nur 54,4 Prozent, das ist der niedrigste Stand in der Geschichte der Bundesrepublik. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten in Brandenburg hält die zur Wahl stehenden Parteien nicht für geeignet, ihre Interessen zu vertreten. Die Abgeordneten im Potsdamer Parlament repräsentieren nicht einmal den Willen der Hälfte der Brandenburger Wahlberechtigten. Bei den zurückliegenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen hatten die Berliner Regierungsparteien SPD und GRÜNE erhebliche Verluste. Verglichen mit den Landtagswahlen 1994 verloren in diesen drei Ländern die SPD insgesamt 462 790 Stimmen und die GRÜNEN 81 946. Die PDS gewann 209 528 Stimmen, die CDU 109 513. Die enttäuschten Hoffnungen auf eine andere Politik der rot-grünen Regierung, die fortgesetzte Zerschlagung des Sozialstaates mit Sparpaket und Rentenplänen hatten dabei wohl wesentlichen Anteil. In keiner in den Medien veröffentlichen Wahlanalyse wird als Grund für die Nichtwahl der Protest gegen den grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien und damit die Ablehnung der Kriegsparteien genannt.

Antifaschismus bleibt eine gesellschaftliche Verantwortung
Die dreiteilige Broschürenreihe der VVN-BdA "Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland" (das abschließende dritte Heft "Hintergründe des Neofaschismus Antifaschistische Politik" wird in Kürze erscheinen) ist eine wichtige Hilfe für uns, die Auseinandersetzung gegen den Neofaschismus nicht nur allein, sondern auch im Bündnis zu führen. In einer Vorlage zum Bundeskongress 1998 der VVN-BdA schrieben wir (bezeichnenderweise sieht der "Staatsschutz" die folgenden zwei Sätze als weiteren Beleg für die angeblich "unverändert linksextremistische Ausrichtung" der VVN-BdA): "Neofaschismus ist Bestandteil der Rechtskräfte und nur unter Beachtung der Wechselwirkungen erklärbar und bekämpfbar. ... Der Antifaschismus kann Neofaschismus somit nur erfolgreich bekämpfen, wenn er sich auch gegen Entwicklungen in der Gesellschaft wendet, die ihn ermöglichen und fördern". Dabei ist Antifaschismus nicht nur eine Sache der außerparlamentarischen Initiativen, sondern auch eine Aufgabe der Kommunen, der Länder und des Bundes. Dies ist einzufordern und entspricht dem antifaschistischen Auftrag des Grundgesetzes. Dabei ist eine breite Sicherung der politischen und sozialen Menschenrechte aller in der Bundesrepublik lebenden Menschen erforderlich: Dort, wo Demokratie und soziale Sicherheit lebendig ist, ist für Nazis kein Raum.

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 1999 J. Kaiser