VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 24.11.2002

Rede von Josef Kaiser

24.11.2002: Gedenkfeier in Karlsruhe

Liebe Kameradinnen und Kameraden, Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Gäste

"... Wie grausam und verächtlich erscheint mir der Krieg. Ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an so elendem Tun beteiligen. Ich denke immerhin so gut von der Menschheit, dass ich glaube, dieser Spuk wäre schon längst verschwunden, wenn der gesunde Sinn der Völker nicht von geschäftlichem und politischem Interesse durch Schule und Presse systematisch korrumpiert würde. Töten im Krieg ist nach meiner Auffassung um nichts besser als gewöhnlicher Mord!"

Diese Worte stammen von keinem Geringeren als Albert Einstein, geschrieben angesichts des Zweiten Weltkrieges: heute so richtig und aktuell wie damals.

Kameradinnen und Kameraden,
wir sind heute zusammengekommen um der Opfer des Faschismus und der Opfer von Terror und Gewalt zu gedenken. Wir sind auch hier, um für eine Politik friedlicher Zusammenarbeit der Völker und weltweiter Gerechtigkeit zu demonstrieren. Wir nehmen eindeutig Stellung gegen Ausbeutung und Krieg.
Denn genau das ist das Vermächtnis und der Auftrag der Opfer des Faschismus, der Opfer von Terror und Gewalt an uns:
Nie wieder Krieg - wir sind keine Mörder und wollen keine Mörder werden!

Das gilt auch für den anstehenden Krieg gegen den Irak. Doch eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik der USA, ihrer Verbündeter und der NATO ist unerwünscht: Schon alleine das Hinterfragen der Kriegsvorbereitungen bringt uns den Vorwurf ein,
  • wir würden die freundschaftlichen historischen Verbindungen zur USA beschädigen,
  • wir würden Gewalt bei Demonstrationen in Kauf nehmen,
  • und wir würden uns nicht ausreichend von den Terroranschlägen in aller Welt distanzieren.

    Ich will es klar und deutlich sagen: Ja, wir sind gegen Terrorismus! Terroristische Mordanschläge sind nirgends akzeptabel, weder in New York, noch in Moskau, weder in Afghanistan noch im Irak, nicht in Tschetschenien, Israel, Palästina, Tunesien, Bali oder anderswo. Aber: So wenig wir Terrorismus akzeptieren, so unmissverständlich sind wir auch gegen Krieg, denn Krieg ist nichts anderes als Terrorismus, nur dass er staatlich sanktioniert ist und die Mörder in der Regel straffrei bleiben.

    Kritische Fragen sind nicht erwünscht: sie werden als Nestbeschmutzung, als Hochverrat empfunden. Wir fragen trotzdem:
    Wer hat Saddam Hussein mit militärischer Ausbildung, Geld, Waffenlieferungen und Militärlogistik in den Sattel gehoben?
    Hatte er sich in den arabischen Ländern als Friedensfreund profiliert oder ging er nicht vielmehr damals schon über Leichen?
    Wer gehört hier eigentlich bestraft? Die irakische Bevölkerung, weil sie seit Jahren einen Diktatoren an der Spitze des Landes ertragen muss - oder diejenigen, die diesen Zustand von Außen herbeigeführt haben? -
    Wir fragen weiter: Sind die Taliban in Afghanistan über Nacht vom Himmel gefallen oder wurden sie vom CIA mit Geld, Waffen und Ausbildung an die Macht gesponsert? -
    Ich könnte die Liste fortsetzen...

    Die Antworten sind klar - Ihr kennt sie alle!
    Ich sage: wer Diktatoren, Verbrecher und Menschenschlächter an die Macht bringt, gehört vor ein internationales Tribunal, vor einen internationalen Gerichtshof. Wer Diktaturen installiert, dem darf man nicht die Hebel der Macht und den Finger am Abzug der Atombombe überlassen. Solche Herrschaften müssen verurteilt, bestraft und zum Wohle der Menschheit weggesperrt werden.

    Glauben die NATO-Strategen und US-Militärs denn ernsthaft dem Terror beizukommen, indem man ein beliebiges Land kurzerhand und fast willkürlich zum "Schurkenstaat" erklärt und rücksichtslos Bevölkerung und überlebenswichtige Infrastruktur bombardiert?

    Ich glaube das nicht! Ich glaube, dass jedes Land und jede Bevölkerung mit Unverständnis, Wut und Hass reagieren wird.

    Glauben denn die Wirtschaftsdemagogen der Globalisierung ernsthaft, dass die seit 500 Jahren betriebene scham- und rücksichtslose Ausbeutung der Menschen und der Länder in Asien, Afrika und Südamerika ein Programm für Menschenrechte ist?
    ..., dass die Zerstörung der Natur und der zivilen Infrastruktur ein Friedensprogramm ist? -
    ..., dass die massenhafte Verarmung durch das Diktat der Weltwirtschaft und der massenhafte Hungertod ein Programm zur Beseitigung von Terror ist?

    Ich glaube das nicht! - Diese Form der Globalisierung ist Terror!
    Und wer Terror sät wird logischerweise Terror ernten!

    Diese Form der Weltwirtschaft ist ein Krieg bei dem die internationalen Multis zusammen mit den nationalen Eliten und Militärs der Bevölkerungen Hab und Gut und Menschenwürde abnehmen, sie mit Hunger, Armut, Perspektivlosigkeit und Tod überziehen. Das ist der Boden, auf dem Terrorismus provoziert wird und gedeiht. Den betroffenen Menschen erscheint terroristische Rache als letzte Lebensperspektive, als letzte Chance von Gegenwehr, als letzte Möglichkeit seine Würde wieder zu gewinnen. Für die betroffenen Menschen gibt es nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt. Sie haben nichts mehr zu verlieren - außer ihrem Leben.

    Die wahren Terrorzentralen sind nicht in der sog. 3. Welt. Sie heißen Internationaler Währungsfond, Welthandelsorganisation und Weltbank. Die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und auch die Anschläge an anderen Orten sind ein Echo auf den permanenten Terror der Ökonomie, mit dem unsere Mächtigen und die genannten Organisationen die Welt tyrannisieren. Wer an die Wurzeln der Probleme will, muss bei uns vor der eigenen Haustüre anfangen und nicht Unschuldige irgendwo auf der Welt bombardieren.

    Es gibt nur terrorlose Perspektiven, wenn akzeptable soziale und menschenwürdige Lebensbedingungen garantiert werden, wenn Kinder Chancen auf Bildung und ein besseres Leben haben, wenn Eltern ausreichend Nahrung, Gesundheit, Schutz und Arbeit haben, wenn Diktatoren und Diktatorenmacher in Ost und West geächtet werden.

    Man muss nicht die Hungernden, sondern den Hunger bekämpfen,
    nicht die Kranken, sondern die Ursachen der Krankheiten,
    nicht die Armen, sondern die Ursachen für ihre Armut,
    nicht Reichtum und Vermögen, sondern die Ursachen für ihre ungerechte Verteilung.

    Noch ein Zitat: "Die Ordnung der Welt zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr die Zuteilung der Güter ein für allemal festgelegt erscheint. Eine Minderheit, Weiße des Nordens die meisten, besitzt alles: Geld, Nahrung, Gesundheit, Wasser, Kleidung - die Massen des Südens nichts. Die wenigen natürlichen Güter, auf denen manche sitzen (Bananen, Kaffee, Öl), werden ihnen vom Weltmarkt zu Preisen abgenommen, gegen welche die Bezahlung mit Glasperlen, die frühere Kolonisten praktizierten, fair erscheint. Und der Graben zwischen den Reichen und Armen wird, wie übrigens auch im weißen Norden selbst, jedes Jahr ein Stück tiefer." (Konkret 11/2002 Herrmann Gremliza)

    Die Militarisierung der Politik zerstört nicht nur irgendwo weit weg von uns, - Militarismus zerstört die solidarische und demokratische Substanz auch hier im eigenen Land: Bürgerrechte werden eingeschränkt, der Sicherheits- und Überwachungsstaat wird seit Jahren aufgerüstet. Zur Finanzierung internationaler Militäreinsätze der Bundeswehr werden fast grenzenlos Gelder herbeigezaubert und großzügig ausgegeben, die wir dringend für Sozialhilfe, für Rente, mehr Gesundheit, mehr Bildung und weniger Arbeitslosigkeit bräuchten.

    Ich sage: Wir brauchen keine NATO-Erweiterung, keine Sondereinsatztruppen, keine high-tech-Armee, die weltweit unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung den Zugang zu Rohstoffen freikämpft. Wir brauchen keine Ausweitung militärischer Optionen. Wir brauchen eine drastische Kürzung des sogenannten "Verteidungshaushaltes" zugunsten friedenschaffender, ziviler Konzepte. Wir wollen nicht, dass die letzten Reste von Verstand und Sozialstaatlichkeit für Kriegsfähigkeit verpulvert werden, weder auf unsere Kosten noch auf Kosten der Menschen in anderen Ländern.

    Neben der zentralen Aufgabe Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, haben wir insbesondere Bildung nötiger denn je. Es ist eine glatte Lüge wenn interessierte Kreise ständig von Wissens- und Informationsgesellschaft reden - trotz nie vorher gekannter Möglichkeiten des Zugangs zu Informationen über die neuen Medien erleben wir eine Verdummungsgesellschaft unglaublichen Ausmaßes, eine Gesellschaft des Spektakels und des Aberglaubens.
    Konsum, High Society, Esoterik, nationale Gefühle und Pathos sind wichtiger als echte Information und eigenes Nachdenken. Nationalfahnen, Stars and Stripes sind wichtiger als Hirn. Das euphorische Absingen der Nationalhymne ist wichtiger als vernünftige Lebensperspektiven oder das Nachdenken über den Sinn des Lebens. Man darf alles fragen und alles tun - grenzenlose Beliebigkeit, grenzenlose Gleichgültigkeit. Nur eine Frage muß sorgfältig vermieden werden, Bert Brecht hat sie wiederholt formuliert:
    Wem nützt das alles? - Denn die Herrschenden wissen: wer diese Frage für sich konsequent beantwortet, wer soll den noch aufhalten ???

    Für uns, Kameradinnen und Kameraden, gibt es keine Beliebigkeit, keine Gleichgültigkeit ins Sachen Terror und Krieg! Uns reicht es nicht, wenn Schröder und Fischer sagen, dass sie gegen den Irak-Krieg sind. Wir wollen Taten sehen. Wie wäre es, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, wenn Sie, entgegen ihrer Zusagen vor 3 Tagen, an die Bush-Administration einen Brief folgenden Inhalts schreiben würden:
    "Die deutsche Bevölkerung ist in ihrer überwiegenden Mehrheit definitiv gegen Krieg. Ich lege als demokratisch gewählter Bundeskanzler deshalb bei NATO und UNO ein Veto gegen den Irak-Krieg ein. Wir werden weder finanzielle, noch militärische, noch logistische Unterstützung aus Deutschland gewähren - auch keine Überflugrechte. Die Flugplätze in Deutschland sind ab sofort für militärische Einsätze gesperrt. Wir werden außerdem alle befreundeten Länder auffordern, sich ebenso zu verhalten!"
    Das wäre ein Tag, der in die deutsche Geschichte einginge und mir ein Stück Vertrauen in die Politik zurück gäbe.

    Die US-Regierungspolitik kann von uns keine Solidarität, erst recht keine "uneingeschränkte" Solidarität, erwarten. Denn Solidarität heißt Unterstützung der Schwachen in ihrem aussichtslosen Kampf ums Überleben, in ihrem täglichen Kampf um Menschenwürde und Menschenrecht. Von diesen Werten kann bei der US-Politik jedoch nicht die Rede sein: Hier geht's um Rohstoffe und Öl, hier geht's um Milliarden und Weltmacht.

    International brauchen wir eine aktive Friedenspolitik. Das Völkerrecht ist dabei eine Voraussetzung um Krieg und Terrorismus zu verhindern. Zu seiner Stärkung gehört die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes mit Durchsetzungskompetenz auch gegen die G7-Staaten und die supermächtige USA.

    Damit, Kameradinnen und Kameraden, sind allerdings auch Fragen nicht-terroristischer Durchsetzungs"gewalt" auf dem Tisch, für die auch wir erst noch zufriedenstellende Antworten finden müssen.

    Trotz all der formulierten Positionen bin ich, sind wir, keine Anti-US-Amerikaner. Wir fühlen uns verbunden mit Millionen US-amerikanischer Unterstützer/innen der dortigen Friedensbewegung. Wir wissen, dass die Nachrichten über Massendemonstrationen in den USA gegen die Regierungspolitik in unseren Medien kleingeredet oder gar verschwiegen werden. Die große Mehrheit der Menschen in den USA will mit uns zusammen keinen Bush-Brand. Auch sie fordern von ihrer Regierung den sofortigen Stop der Kriegsaktivitäten! Sie kritisieren ihre Regierung weit härter und mutiger als wir! Mit ihnen fühlen wir uns verbunden - sie sind unsere US-amerikanischen Freunde!
    Nein, wir sind keine Anti-US-Amerikaner! - Aber wir sagen NEIN zu einem Präsidenten, der nicht einmal demokratisch gewählt ist, sondern durch einen Richter eingesetzt wurde. Wir sagen NEIN zu einer Kriegspolitik, mit der unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung eine beispiellose Aufrüstung und beispiellose Völkerrechtsverletzung betrieben wird.

    Bush und seine Militärs, Schröder und Fischer sollen es jeden Tag von allen Seiten hören - ihnen sollen die Ohren klingeln bis es weh tut: Wir wollen eine Welt des Friedens und echter Demokratie. Wir wollen, dass der Erhalt der Natur und soziale Sicherheit für alle Menschen nicht nur Grundrechte sondern Realität sind.

    Sie und Ihr werdet jetzt sagen: "Alles schöne Worte! - Aber was ist denn Dein konkreter Vorschlag zur Lösung des Problems?" -
    Ich kenne die Lösung nicht - Keiner von uns kennt die Lösung des Problems! -
    Ich weiß nur, was wir wollen: Wir wollen keine Terrorpolitik - egal von welcher Seite.
    Ich weiß, dass nichts mehr Mut und Zivilcourage erfordert, als - entgegen dem Zeitgeist - aufzustehen und laut und deutlich "Nein" zu sagen. Trotzdem müssen wir es tun, jeden Tag: zu hause, in Vereinen, in Parteien, am Arbeitsplatz, und nicht zuletzt in den Gewerkschaften: Nein - wir wollen keinen Krieg! Nicht gegen den Irak, nicht gegen andere Länder. Wir wollen keine weiteren Opfer von Terror und Gewalt!

    Ganz in diesem Sinne soll uns der Ort, der Friedhof, auf dem wir heute der Opfer des Faschismus gedenken, nicht deprimieren, nicht entmutigen. Wir wollen aus dem Gedenken an die Opfer Kraft und Mut mitnehmen. Das ist die würdigste Form der Opfer zu gedenken und ihr Andenken am Leben zu halten.
    So klein uns auch der Beitrag jedes einzelnen vorkommen mag: Lasst uns nicht aufgeben! Wir sind viele, wir sind Tausende rund um den Erdball, - wir werden täglich mehr - und wir haben auch eine Chance, denn: "Millionen sind stärker als Millionäre!"

    (Inhaltliche Anleihen verdanke ich den Mitkameraden Horst Schmitthenner, Anne Rieger, Dieter Lachenmayer, Albert Einstein, Bruno Negri, Michel Chossudovsky, Herrmann L. Gremliza, Viviane Vorrestier u.v.a.m.)

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