VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 15.05.2004

Landesdelegiertenkonferenz 15./16.05.2004:

Auszüge aus der Rede von Werner Pfennig

... Immer noch versuchen Rechtskonservative hierzulande, den 8. Mai als Tag der Befreiung zu relativieren. Da gibt es die Sehnsucht der Hohmänner und anderer Leute nach Umwertung des Prinzips von Ursache und Wirkung, das Verteilung von Schuld abzielt. Diejenigen, die immer noch nach Verursachern und Schuld fragen, sollen um beschämenden Verstummen gebracht werden. "Wir wollen nicht aufrechnen, wir sind quitt" ist da Motto. Die Geschichte soll - 59 Jahre danach - endgültig entsorgt werden. Der 8. Mai 1945 wird gleichgesetzt mit dem 9. November 1989. Nur noch einen Schritt weiter, und die Beweislasten kehren sich um: Dann vergeben die Deutschen den Alliierten, den Verfolgten des NS-Regimes oder den Überlebenden der Vernichtungspolitik, daß diese immer noch an Ursache und Wirkung, Täter und Opfer festhalten...
Am 20.3.2003 überzog die stärkste Militärmacht der Welt den infolge des jahrzehntelangen Embargos ökonomisch auf den Stand eines Dritte-Welt-Landes zurückgefallenen Irak mit einem völkerrechtswidrigen Krieg ... Zu den selten genannten Opfern dieses Krieges gehört auch das Völkerrecht, das nachhaltig und - wenn wir es zulassen - irreparabel beschädigt wurde. Denn Militärplaner betrachten den Irakkrieg heute als willkommenden Präzedenzfall... Krieg ist die verbrecherischste Form von Ausländerfeindlichkeit, das sehen wir jetzt auch an den Folterungen, der unmenschlichen Behandlung und Diskriminierung von Gefangenen. Der Münchner Bundeswehrhochschul-Professor Wolffsohn hält Folter für ein legitimes Mittel im Kampf gegen Terroristen. Wo aber Folter legitimiert wird, existiert kein Rechtsstaat mehr...
Lange Zeit wurden ersthafte Versuche unterlassen, Entstehung und Wirklichkeit des deutschen Faschismus aufzuarbeiten. die alten Nazikader, die bereits ab 1951 mit Hilfe des Adenauerschen 131er Gesetzes, das die Behörden verpfichtete, bei Neueinstellungen mindestens 20% als belastet eingestufte Nazianhänger zur berücksichtigen, in hohe und höchste Staatsämter zurückkehren konnten, wußten dies zu verhndern. ...Es gab 1945 eben keine Stunde Null - der Nationalsozialismus war auf demSchlachtfeld, nicht aber in den Köpfen besiegt. Was Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen, Treblnka, Majadanek, Bergen-Belsen möglich machte, schwand - wenn überhaupt - nur ganz allmählich und meist eben nicht als Folge einer neuen und besseren Einsicht, sondern als Konsequenz biologischer Gesetzmäßigkeiten. ...
Im letzten Jahr wurden fast 11 000 rechtsextremistische Straftaten in Deutschland begangen. Über 120 Menschen sind in den letzten 10 Jahren von Neofaschisten getötet worden. Leider muss man auch heute wieder betonten, daß Verfassungsschutz und Geheimdienste der BRD den Terror der Nazis durch Duldung, manchmal sogar durch Initiierung Vorchub leisteten. Justiz und Polizei erkämpften den Nazis oft dadurch Freiräume, indem deren Aktionen genehmigt und gegen Proteste geschützt wurden. ...
Nach der Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht haben die Umtriebe der NPD und anderer Neofaschisten Auftrieb bekommen. Das Gericht hat festgestellt, daß der Verfassungsschutz so weit mit der NPD verstrickt ist, daß sich nicht mehr klären lasse, ob nicht auf diese Weise der Staat selbst für faschistische Politpropaganda verantwortlich ist. ... Eine ernsthafte Debatte über das Elend der Inlandsgeheimdienste, wie sie nach der Blamage mit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren dringend notwendig gewesen wäre, hat nicht stattgefunden. Der Verfassungsschutz ist ein ideologisches Kind des Kalten Krieges, die Inlandsgeheimdienste sind reformunfähig, die über 50-jährige Geschichte des Verfassungsschutzes ist eine Geschichte von Skandalen und Bürgerrechtsverletzungen, von der Überwachung demokratischer Organisationen, wie z.B. der Friedensbewgung und der VVN-BdA über skandalöse Sicherheitsüberprüfungen und illegale Telefonabhöraktionen bis hin zum fingierten Bombenattentat, das als "Celler Loch" in die Geschichte einging. Rufe nach einer besseren Kontrolle helfe nicht weiter, denn ein Geheimdienst wäre kein Geheimdienst, wenn er sich offen kontrollieren ließe. Deshalb weg damit! Es ist aber auch der alltägliche Rassismus in der Bundesrepublik, der die unendliche Kette der neofaschistischen Schandtaten möglich gemacht hat. Die Gewalt kommt auch aus der Mitte der Gesellshaft und es existiert eine Grauzone. Die Mauer zwischen restaurativem Konservatismus und gewalttätigem Rechtsextremismus ist gefallen. ...
Wir protestieren auch heute von unserer Konferenz aus gegen das zur Verfügung stellen von Sälen, Straßen und Plätzen für die NPD und andere Neofaschisten durch Städte und Gemeinden. ... Wir fordern weiter die nach Artikel 139 grundgesetzlich gebotene Aufösung und das Verbot aller faschistischen und neofsachistischen Organisationen. Auch die Bundesregierung kann sich nicht auf fehlendes Unrechtsbewußtsein berufen. ... Daß das Kontrollratsgesesetz Nummer 2 vom 10.10.1945 "Auflösung und Liqudierung der Naziorganisationen" weiter geltendes Recht ist, hat die jetzt amtierende Bundesregierung zuletzt vor ca. zwei Jahren im Deutschen Bundestag bestätigt. Wir werden weiter wachsam sein: Nicht nur in Deutschland, überall in Europa werden neofaschistische Kräfte wieder salonfähig. ... Wir wissen, wie Faschismus historisch entstand und deshalb werden wir im Bündnis weiter dagegen halten, aufklären und uns nicht wegducken. ...
Am 3. April haben mehr als 500 000 Menschen gegen eine Politik demonstriert, die einmal unter dem Slogan "Arbeit und Gerechtigkeit" angetreten war, dafür aber in den letzten Jahren keine wirksamen Maßnahmen ergriffen hat. ... Die in der Agenda 2010 zusammengefaßte Politik bekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die abhängig Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentner. ... Während 10 Prozent der deutschen Bevölkerung ständig unter der Armutsgrenze vegetieren, verfügen die oberen 10 Prozent über die Hälfte des gesamten Geldvermögens und drei Prozent der Bevölkerung verfügen über 80 Prozent des Produktivvermögens. ... Es sind doch nicht die hohen Kosten, sondern es ist die falsche Verteilung des Reichtums, die dem Ausbau des Sozialstaates entgegensteht. ... Mit untauglichen Konzepten wurde schon oft Unheil angerichtet, und alle, die Verantwortung tragen, sollten doch aus der Geschichte lernen. ...
Ein beträchtlicher Teil des Unternehmertrums bezieht heute Positionen, die nicht sehr weit von denen entfernt sind, die der Reichsverband der deutschen Industrie und andere Verbände in den letzten Jahren der Weimarer Republik eingenommen haben. ... Die politischen Folgen waren verheerend. ... Man sollte also - und das gilt auch für Politiker - von Zeit zu Zeit ein Geschichsbuch in die Hand nehmen. ... Wir wollen eine wirklich demokratische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. ...Laßt uns unsere Köpfe und Herzen und unsere Kraft im Sinne des Schwurs von Buchenwald für unsere Ziele einsetzen. ..."

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