VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 17.09.2004

Werner Pfennig
Landessprecherin der VVN-Bund der Antifaschisten:

Rede zur Kundgebung 11.09.2004 in Schwäbisch Hall
Bündnis für ein Buntes Hall - Nazis couragiert entgegentreten!


Freundinnen und Freunde,

wir demonstrieren heute wieder gegen die braune Brut der Nazis, die Schwäbisch Hall wiederum heimsucht. Die sogenannte Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG), eine 1999 als Abspaltung der "Jungen Nationaldemokraten" gegründete Gruppe bekennender Nazis um Lars Käppler und Christian Worch, will dies offensichtlich auch in Zukunft tun. Wir treten an gegen alte und neue Faschisten, hier und anderswo: Nazis raus aus unserer Stadt!

Motto und Parolen dieses "antiamerikanischen Sternmarsches" erfüllen eindeutig den Tatbestand der Volksverhetzung, und das ausgerechnet am 11. September. Offene Hetze gegen die amerikanische Bevölkerung und das Gutheißen des Angriffskrieges Hitlers sind Ungeheuerlichkeiten, die wir nicht hinnehmen. Pervers ist auch, daß die Nazis ihren Aufmarsch auch noch "unter die Schirmherrschaft" der sogenannten "Truppenkameradschaft der ehemaligen 1. SS-Panzerdivision Leibstandarte Adolf Hitler" gestellt haben.

Dazu haben sie auch noch einen ehemaligen SS-Unterscharführer in der "Leibstandarte Adolf Hitler" als Redner eingesetzt, um die Naziideologie zu verbreiten. Gegenwehr heute und in Zukunft ist angesagt, Freundinnen und Freunde. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

NPD, DVU und die sogenannten Freien Kameradschaften wollen aus legitimem Protest und einer unsozialen Politik Honig saugen für ihre verbrecherische Ideologie und Praxis.

So spielen sie sich als Anwalt der Arbeitslosen, der abhängig Beschäftigten auf, tauchen auf den Anti-Hartz-Demonstrationen auf, vertreten aber in Programmatik und Praxis in Wirklich eine unsoziale und menschenverachtende Politik. So wollen sie die Einheitsgewerkschaft zerschlagen und die Tarifautonomie beseitigen, sie machen Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe zu Sündenböcken aller Mißstände in diesem Land, sie sind geistige und physische Mittäter der feigen Anschläge auf Ausländer, Obdachlose sowie politische Gegner. Sie leugnen Naziverbrechen, streben ein neues Großdeutschland an und wollen damit neuen Unfrieden in Europa schaffen.

Im letzten Jahr waren fast 11 000 neofaschistische Straftaten in Deutschland zu verzeichnen. Über 120 Menschen sind in den letzten Jahren von Neofaschisten getötet worden. In vielen Fällen wurde deutlich, daß Verfassungsschutz und Geheimdienste der BRD dem Terror der Nazis durch Duldung manchmal sogar Initiierung Vorschub leisteten. Justiz und Polizei erkämpften den Nazis über Jahre hinweg Freiräume, in dem deren Aktionen genehmigt und gegen Proteste geschützt wurden. Die VVN-BdA bekämpft im Bündnis mit allen demokratischen Kräften alle faschistischen Aktionen und Bestrebungen. Unsere Verfassung bestimmt, daß "die zur Befreiung des deutschen Volkes erlassenen Rechtsvorschriften" bestehen bleiben. Gemäß Artikel 139 unseres Grundgesetzes sind alle neofaschistischen Gruppen und Organisationen aufzulösen! Das ersetzt selbstverständlich nicht die politische Aufklärung auf allen Ebenen.

Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, den Sumpf trocken zu legen, in dem die Faschisten gedeihen können. Dazu gehört, sie an der Verbreitung ihrer menschenverachtenden, rassistischen, antisemitischen, faschistischen Ideologie zu hindern.

Es ist deshalb nicht hinnehmbar, dass die Stadt Schwäbisch Hall und der Oberbürgermeister Pelgrim keinen Verbotsantrag gegen den heutigen Naziaufmarsch gestellt hat. In Artikel 26 des Grundgesetzes steht: "Handlungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." Was könnte das friedliche Zusammenleben der Völker mehr stören, als ein nur dürftig getarnter Trimuphmarsch am Jahrestag des terroristischen Massakers gegen die Bevölkerung von New York - verbunden mit den lobenden Hinweisen auf den Angriffskriegs gegen die Sowjetunion und Hochjubeln der Waffen-SS?

Parolen wie "Schützt Europa vor Amerika" oder "Amerika bringt uns in Not" bemühen sich nicht einmal um den Anschein einer legitimen Kritik an der Politik der USA, sondern hetzen zum Haß gegen die amerikanische Bevölkerung auf.

Wir treten ein für ein breites demokratisches Bündnis und begrüßen deshalb die Kundgebung heute nachmittag. Aber daß sie fernab der Nazihorde und unter Genehmigung von deren Auftreten in Haller Wohngebieten stattfindet, das kritisieren wir. Das Bündnis für ein Buntes Hall lehnt Absprachen und Kompromisse mit Nazis grundsätzlich ab. Kein Fußbreit den Faschisten, weder in der Innenstadt noch in Hagenbach noch anderswo!

Wenn sich ein CSU-Bürgermeister in Wunsiedel gegen Nazis auf die Straße setzt, kann man doch von einem SPD-Oberbürgermeister verlangen, daß er alles tut, um seine Stadt nazifrei zu halten!

Wir protestieren ausdrücklich gegen das zur Verfügung stellen von Sälen, Straßen und Plätzen für die NPD, die sogenannten freien Kameradschaften durch Städte und Gemeinden. Das gilt für Schwäbisch Hall und überall. Gerade die NPD und ihre Ableger werden immer noch unterschätzt. Bei den bevorstehenden Wahlen in Brandenburg und Sachsen wird man wahrscheinlich noch ein blaues Wunder erleben.

Auch die Bundesregierung ist gefordert, Freundinnen und Freunde: Wo ist eigentlich der Aufstand der Anständigen geblieben? Schon vergangene Regierungen erklärten mehrfach gegenüber den Vereinten Nationen: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unternimmt seit Jahren wirksame Maßnahmen für das Verbot nazistischer und rassistischer Organisationen und Gruppen, für deren gerichtliche Verfolgung".

Ein anderes Zitat: "Das ausdrückliche Verbot von nazistischen Organisationen und gleichfalls die Vorbeugung gegenüber nazistischen Tendenzen folgen aus dem Grundgesetz mit der Wirkung, daß die von den Alliierten und deutschen Stellen erlassene Gesetzgebung zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus weiterhin in Kraft ist.

Daß das Kontrollratsgesetz Nummer 2 vom 10. Oktober 1945 "Auflösung und Liqudierung der Naziorganisationen" weiter geltendes Recht ist, hat die jetzt amtierende Bundesregierung zuletzt vor ca. zwei Jahren im deutschen Bundestag bestätigt. Aber die Konsequenzen wurden nicht gezogen.

Wir werden weiter wachsam sein: Nicht nur in Deutschland, überall in Europa werden neofaschistische Kräfte wieder salonfähig. Das rechte Spektrum ist längst aus seinen Löchern gekommen und formiert sich europaweit. Wir wissen, wie der Faschismus historisch entstand und deshalb werden wir im Bündnis weiter dagegenhalten, aufklären und uns nicht wegdrucken.

Wie groß das von Neofaschisten ausgehende Bedrohungspotential ist, wurde zum Beispiel anläßlich der Verhaftung des Führers der Nazikameradschaft Süd in München deutlich. Bei Wiese wurde 14 kg Sprengstroff, darunter 1,7 kg des hochexplosiven Militärsprengstoffs TNT gefunden. Die Münchner Nazigruppe ist Teil eines bundesweiten Neonazinetzwerks mit weitreichenden Kontakten. Wie bekannt trat Wiese ja auch hier in Schwäbisch Hall als Kundgebungsredner gegen die Wehrmachtsausstellung auf.

Enge Kontakte zwischen braunen Terrorgruppen und NPD - bis zu personellen Überschneidungen - gab es schon in der Vergangenheit. So existierten gute Verbindungen zwischen NPD-Mitgliedern und der braunen Wehrsportgruppe Hoffmann. Gundolf Köhler, der 1980 einen Sprengstoffanschlag auf dem Münchner Oktoberfest verübte, bei dem 13 Menschen starben und 219 teilweise schwer verletzt wurde, war Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann.

Der Beispiele gibt es noch viele. Deshalb Nazis raus aus Schwäbisch Hall!

Freundinnen und Freunde,
es ist auch der alltägliche Rassismus in der Bundesrepublik, der die unendliche Kette der neofaschistischen Schandtaten möglich gemacht hat. Die Gewalt kommt auch aus der Mitte der Gesellschaft und es existiert eine Grauzone. Die Mauer zwischen restaurativem Konservatismus und gewalttätigem Rechtsextremismus ist gefallen. Es gibt die Fahrgemeinschaften in der Rechtskurve. Manches in der Sprache der Arbeitgeberverbände erinnert fast wortgleich, und zwar im Zusammenhang mit dem Sozialabbau, an die Arbeitgeberpublikationen vor 1933, wo ähnlicher Sozialabbau wie heute propagiert und durchgeführt wurde. Und mit welchem Resultat? Wir wissen es alle und Politiker sollten hie und da auch ein Geschichtsbuch in die Hand nehmen. Wir werden weiter deutlich machen, daß der Sozialstaat gleichberechtigtes Verfassungsprinzip und kein Abbruchunternehmen ist! Die Väter des Grundgesetzes würden im Grab rotieren, wenn sie hören könnten, wie dieser Begriff heute definiert wird. Renten, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sind keine Almosen, sondern durch Beiträge erworbene Leistungen und wir werden nicht zulassen, daß die Nazis, die etwas völlig anderes im Sinn haben, sich hier unseren berechtigten Protesten anschließen.

Wir wollen eine tolerante und offene Gesellschaft. Aber gegenüber alten und neuen Nazis kann es keine Toleranz geben. Wir brauchen eine Politik, die an den Wurzeln der Ausländerfeindlichkeit ansetzt, die Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit beseitigt. Es ist unsere Aufgabe und die aller Bürgerinnen und Bürger, dafür zu sorgen, daß in Deutschland alle Menschen ohne Angst leben können.

Deshalb: Nazis raus aus Schwäbisch Hall!

Nazis müssen auf allen Ebenen bekämpft werden. Dazu gehört auch, sich in Richtung der Neonazis nicht blind zu stellen: Schon vor Jahren hätte man Leute, die das größte Verbrechen der Hitler-Diktatur verherrlichen, härter anfassen müssen. Aber es hat eine lange Tradition von der Weimarer Republik bis in unsere Tage hinein: Diejenigen, die dazu berufen wären, die Demokratie zu verteidigen, zeigten sich lange blind gegenüber den Gefahren von rechts. Faschistische, neonazistische Bewegungen wurden vom Staat lange erstaunlich schonend behandelt. Statt dessen wird von der Landesregierung, von Frau Schavan, eine Neuauflage der undemokratischen Berufsverbote für einen Heidelberger Antifaschisten betrieben.

Wir aber werden nicht zulassen, daß Gewalt und Hass, Dummheit und Intoleranz unser Zusammenleben zerstören. Wir treten ein für mehr Entschiedneheit im Kampf gegen rechts! Faschisten gegen der Demokratie an die Gurgel. Deshalb muss eine Demokratie dem entgegentreten und dafür sorgen, daß ihr nicht irgendwann von geschichtsblinden Barbaren die Luft zum atmen genommen wird.

Freundinnen und Freunde,
es ist höchste Zeit, daß alle Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, auch als gleichberechtigte Menschen mit allen Bürgerrechten anerkannt werden. Nicht nur die Gewalt gegen Ausländer, auch deren Diskriminierung muß überwunden werden, in den Gesetzen, in der Politik und vor allem auch im Alltag.

Bürgerinnen, junge Menschen und ehemalige antifaschistische Widerstandskämpfer, die sich couragiert und engagiert gegen rassistische Ausgrenzung und Gewalt, für Menschenrechte und für antifaschistische Politikinhalte einsetzen, verdienen vollen Anerkennung und Unterstützung und nicht die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, der sowieso aufgelöst gehört.

Wir fordern von allen politisch Verantwortlichen in den Kommunen, Ländern und im Bund:
  • Stellen Sie für die antirassistische und antifaschistische Arbeit ausreichend Mittel und Kräfte zur Verfügung;
  • sorgen Sie dafür, daß demokratische Aktivitäten gegen neofaschistische Auftriebe und Aufmärsche nicht behindert werden;
  • unterlassen Sie jede Diffamierung antirassistischer und antifaschistischer Initiativen und Gruppen - auch wenn sie politisch unbequem sein mögen.

    Wir setzen uns ein für verstärkte Aufklärung über Faschismus in Schule und Öffentlichkeit. Wer Neofaschismus, Rassismus und Militarisierung wirklich bekämpfen will,darf ihnen keine Nahrung geben, muß ihre Wurzeln beseitigen,
  • muß Demokratie stärken und ausbauen, darf sie nicht einschränken
  • muß in allen Bereichen für die sozialen und politischen Menschenrechte, für soziale Gerechtigkeit wirken
  • muß Friedenspolitik und darf keine Kriegspolitik betreiben.

    Hemmungsloser Neoliberalismus mit seinen asozialen Folgen aber vergrößert den Nährboden für Rechtsextremisten und Rechtspopulisten.

    Es ist ein Verbrechen, junge Menschen in die Ideologie der Unmenschlichkeit einzuführen, wie es die Nazis tun. Weniger Parteitage, sondern Aufmärsche, Konzerte von Nazibands und ähnliches festigen den gemeinsamen Haß und in dieser rechtsextremen Unkultur wird er gepredigt und der Mord an allen die anders sind - an Ausländern und Behinderten, an Dunkelhäutigen und Linken, an Homosexuellen und Demokraten.

    Es ist an der Zeit, das Gemenge von Demokratieverachtung, Gewaltgeilheit und Menschenhaß wieder als da zu bestimmen, was es ist: Eine der übelsten Bedrohungen in Deutschland. Die Naziideologie läßt sich in jeder zweiten Kneipe vernehmen.

    Freundinnen und Freunde,
    noch einmal: Nazis haben in Schwäbisch Hall, in unserer Region und anderswo nichts verloren. Deshalb noch einmal unsere Forderungen:
  • Kein Platz für Nazis in Schwäbisch Hall und der Region!
  • keine Duldung der Faschisten durch die Stadt Schwäbisch Hall und die zuständigen Behörden!
  • Schutz für Jugendliche und Kinder vor faschistischem Propagandamaterial!
  • Keine Nazitreffen, weder auf öffentlichen Straßen und Plätzen noch in Sälen oder bei Konzerten.

    Freundinnen und Freunde,
    die Zukunft Deutschlands und Europas läßt sich nicht abkoppeln von der Zukunft Afrikas, Asiens und Amerikas. Wir treten dafür ein, daß sich Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlicher Nationen und unterschiedlicher Lebensstile offen und vertrauensvoll begegnen können. Wir wollen eine Welt, in der Toleranz und Solidarität statt Diskriminierung und Hass herrschen.

    Eine gerechte Weltordnung ist nur mit friedlichen Mitteln zu schaffen. Frieden und Abrüstung, Einhaltung von Menschen, ökologische Verantwortlichkeit und soziale Gerechtigkeit sind dabei Gestaltungsprinzipien. Nazis raus! Faschismus ist und bleibt ein Verbrechen!

    Wir müssen weiter aktiv handeln in einem breiten demokratischen Bündnis, damit wir zu demokratischen Lebens- und Arbeitsformen in diesem Lande kommen.

    Werner Pfennig

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